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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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dumm war noch ein Roboter. Mein Vortrag verblüffte sie so sehr, daß sie keine Antwort herausbrachte.
    Beverly und Tad kamen hereingestürmt. Der Junge schnappte meine abschließenden Worte auf und beeilte sich zu erklären, daß man sie keinesfalls als grobe Insubordination verstehen dürfe, sondern vielmehr als automatische und angemessene Reaktion eines jeden P9, der aufgrund der ihm einprogrammierten Selbstachtung nicht anders könne, als sich gegen eine Verwechslung mit minderwertigen Fabrikaten zu verwahren. Was mein Versäumnis betraf, das heiße Wasser mit kaltem zu mischen, so blieben seine Beschwichtigungsversuche in diesem Punkt erfolglos. »Nein. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Ein P9 macht keinen Fehler.« Zu Beverlys Entzücken und Tads Verdruß brachte sie das Thema beim Abendessen aufs Tapet, vor dem Hausherrn und vor mir, da es zu meinen Aufgaben gehörte, bei Tisch zu servieren. Sie bestand darauf, daß Stan (ihr Gatte, mein Gebieter) mich zu Hal's Pirouet-Center bringen sollte, zu einer sofortigen Inspektion. Hal war der Leiter der nächstgelegenen Filiale, sein Geschäft befand sich in der Innenstadt von Newacres.
    Das waren Dinge, von denen der gute Mann nichts hören mochte. Abgesehen von einem schweren Tag im Büro und einem schmerzenden Rücken war das ehrenwerte Familienoberhaupt auf dem Heimweg nur um Haaresbreite Tod und Verstümmelung entgangen. Auf dem Skyway I-90 hatte es eine Kollision gegeben, in die siebzehn Mobile verwickelt waren. Die unerfreulichen Spuren des Unfalls hatten ihn drei Meilen weit begleitet. Aus diesem Grund war er nicht in der Stimmung, sich von seiner Frau mit Beschwerden über angebliche Funktionsstörungen bei seiner Lieblingsandroidin überschütten zu lassen. Sein Zorn richtete sich gegen die Kinder als die wahrscheinlichsten Übeltäter, und er schwor, den Sears auf sie loszulassen, sollte sich herausstellen, daß sie irgendeinen Unfug mit mir getrieben hatten. Es gelang ihm, Beverly einzuschüchtern, nicht aber Tad, der eine leere Drohung von einer ernstzunehmenden unterscheiden konnte. Um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, befahl mein Gebieter mir, vorzutreten und sein Weinglas zu füllen. Während ich gehorchte, beobachtete er aufmerksam jede meiner Bewegungen und jeden Gesichtsausdruck, ob irgend etwas in meinem Verhalten auf einen Defekt hindeutete.
    In diesem spannungsvollen Moment geschah etwas Ungewöhnliches. Als unsere Augen sich trafen, verriet sein Blick ein starkes Interesse, das über den gegenwärtigen Anlaß hinausging und ein persönliches Band zwischen uns vermuten ließ, von dem er zu befürchten schien, es könne bei einer Fehlfunktion ans Licht kommen. Kaum war durch diesen Zwischenfall meine neu erwachte und sehr lebhafte Neugier angestachelt worden, lieferte mein Gedächtnisspeicher eine assoziative Erinnerung, die auf meinen inneren Bildschirm eine Reihe intimer Intermezzi projizierte, und mit nicht geringer Bestürzung wurde mir bewußt, daß diese Liaison schon an dem Tag begonnen hatte, an dem ich gekauft worden war. Der Ablauf dieser zweimal wöchentlich frühmorgens stattfindenden Treffen war immer gleich: Er schlüpfte in meine Kammer im Erdgeschoß, programmierte mich auf Halbrelaxo, streifte hastig die Kleider ab und legte sich zu mir auf die weiche Matratze, wobei er flüsterte, ich sei eine Göttin, seine Eine-Million-Dollar-Göttin, und meinen Körper liebkoste, als wäre er aus feinster Seide. Weitere Komplimente folgten, Ausdrücke wie ›bezaubernd‹, ›heiß‹ und ›dreh dich um‹, und ich ließ alles vollkommen bereitwillig und ebenso vollkommen unbeteiligt über mich ergehen, denn in meinem früheren Zustand vermochte ich keinen Unterschied zwischen diesen Gefälligkeiten und meinen sonstigen Pflichten zu erkennen. Seine Abschiedsworte waren stets dieselben: ›Vorfall löschen‹, und sie verrieten ein für einen Kenner erstaunlich geringes Wissen über die Gedächtnisfunktionen eines P9, denn obwohl eine Tilgung von Informationen möglich ist und auf Verlangen eines Gebieters ohne weiteres durchgeführt wird, läßt sich ein endgültiges ›Vergessen‹ nur bewirken, indem die gesamte Datei entfernt wird. Wir P9 sind mit einer 550 Millibyte umfassenden holographischen, non-selektiven Gedächtniskapazität ausgestattet, ausreichend, um jede Millisekunde unserer Standard-Lebensspanne von 20 Jahren zu bewahren, deshalb geht keine Information – diese anstößigen Vorfälle eingeschlossen – je
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