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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin
Autoren: Stephen Fine
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Erdboden entsprossenes lebendiges Wesen, das sich massiv und blendend weiß im Schein der Mittagssonne rekelte. Ich hob den Kopf und entdeckte den Sears, der von dem umfriedeten Dach, wo er tagsüber Wache hielt, zu mir herabschaute. Der Glanz seines polierten synthetischen Schädels blendete mich. Als ich den Blick noch weiter hob, wurde ich zum ersten Mal des Skyways hoch über mir ansichtig, des 210, einer der Hauptverkehrsadern von Nordamerika. Der Anblick war neu für mich, weil ich in meinem früheren Zustand weder eine Veranlassung noch das Bedürfnis gehabt hatte, zum Himmel aufzuschauen. In einer halben Meile Abstand vom Boden führte der Skyway 210 direkt über das Haus und schwang sich in einem weiten Bogen nach Südwesten, wo er in die Dunstglocke über den Los-Angeles-Inseln eintauchte. Rote Markierungsbojen alle zehn Meilen erweckten von unten den Eindruck einer durchgehenden Begrenzung. Nach dem Umschalten auf Fernsicht konnte ich sehen, daß der Skyway in acht Spuren unterteilt war und auf zwei Ebenen freien Flug ohne Gegenverkehr ermöglichte. Doch was mich am meisten faszinierte, war der ständig variierende Regenbogeneffekt des vielfarbigen und schnell fließenden Verkehrs.
    Ein Aeromobil, das erst als weißer Punkt in der eine Viertelmeile entfernten Exitschneise aufgetaucht war, näherte sich dem Haus, und ich wußte, darin saß meine Gebieterin, die von einer ihrer häufigen Einkaufsexpeditionen zurückkehrte. Vielleicht war sie müde und gereizt oder, falls sie – was selten vorkam – etwas nach ihrem Geschmack gefunden hatte, redselig und selbstzufrieden. Unabhängig von ihrer Laune, erwartete sie in jedem Fall, daß ich ihr ein Bad richtete. Folgerichtig begann, kaum daß sie auf dem Dach gelandet und von dem Sears begrüßt worden war, das entsprechende Tätigkeitsprogramm abzulaufen, und die Elektronik bugsierte mich durch die offenen Verandatüren ins Wohnzimmer, in die Diele und die Wendeltreppe hinauf in das im zweiten Stock gelegene Schlafzimmer und Bad der Gebieterin. Die Kinder folgten mir. Beverly wollte als erste der Mutter berichten, daß ich ›kaputt‹ war. In der Diele versuchte sie an mir vorbeizuschlüpfen, aber Tad gelang es, sie vor der Tür zum Badezimmer abzufangen, wo ich gerade dabei war, das Wasser in die Wanne laufen zu lassen. Er bemühte sich, ihr klarzumachen, weshalb sie nichts verraten sollte, daß es wichtig für ihn war, die Entwicklung meines scheinbaren ›Erwachens‹ zu beobachten und darüber an die Liga für die Rechte der Androiden (LRA) zu berichten – eine Organisation, in der er trotz der Proteste seiner Eltern Mitglied war. Wenn man die Veränderung bemerkte, erklärte Tad, würde ich zur Reparatur ins Reha-Zentrum geschickt werden, und in meinem Normalzustand war ich für ihn ohne Nutzen. Seine kleine Schwester zeigte sich uninteressiert und wies seine Argumente als blödsinnig zurück, also blieb Tad nichts anderes übrig, als sich ihr Schweigen mit einer Tüte Gummibärchen zu erkaufen.
    Nachdem die Sache zur beiderseitigen Zufriedenheit geregelt war, blieb ihnen kaum genug Zeit, den Rückzug anzutreten, bevor meine Gebieterin vergnügt summend und mit einer Tüte von I. Magnin ins Schlafzimmer kam. Außer neuen Kleidern hatte sie sich ein bezauberndes neues Gesicht zugelegt. Ich bemerkte es sofort, als sie in der Tür stehenblieb, um mich daran zu erinnern, Badeöl ins Wasser zu geben. Während ich ihrer Bitte nachkam – geäußert mit dem unvermeidlichen ›Dear‹ –, wollte mir scheinen, als erforderte das Programm auch die Hinzufügung von kaltem Wasser zu dem heißen, das in breitem Strahl die in den Boden eingelassene Marmorwanne füllte. Indes, der interne Kampf um die Vorherrschaft hatte wieder begonnen, und mein ganzes Denkvermögen war von der Frage in Anspruch genommen, ob ich tatsächlich ein Mensch und durch betrügerische Machenschaften verführt worden war, etwas anderes zu denken; wie sonst ließ sich mein Erwachen – oder mein Zusammenbruch – erklären? Handelte es sich vielleicht um eine Verschwörung auf Fabrikationsebene? Statt Androiden aus massenproduziertem und modifiziertem Sporenmaterial zu züchten, wie allgemein angenommen, benutzte Pirouet einfach – teuflisch einfach – menschliche Embryos. Zum Beweis dieser abstrusen Theorie versuchte ich, mir mit der Schere in die linke Hand zu stechen, doch meine Haut blieb unversehrt, ich empfand nicht einmal Schmerz. Schließlich zerbrach die Schere, während meine
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