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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien
Autoren: George Orwell
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werden.
    Für Orwell war es, glaube ich, eine natürliche Sache, ein Parteigänger des kommunistischen Programms für den Krieg zu sein. Bei näherer Betrachtung empfahl er sich den meisten Leuten durch seinen scheinbar einfachen Menschenverstand. In dem Programm wurde vorgeschlagen, den Krieg ohne Bezug auf besondere politische Ideen zu führen, soweit sie über die Verteidigung der Demokratie gegen den faschistischen Feind hinausgingen. Erst wenn der Krieg gewonnen war, sollten die politischen und sozialen Probleme gelöst werden, aber bis der Krieg gewonnen sei, könnte jeder Streit über diese Probleme nur die vereinte Front gegen Franco schwächen.
    Orwell begriff schließlich, daß es in Wirklichkeit nicht jene praktische Politik war, für die er sie zuerst gehalten hatte. Seine Gründe brauchen hier nicht wiederholt zu werden, er spricht davon im Laufe des Buches mit seiner charakteristischen Logik und Bescheidenheit. Er schreibt in einer pessimistischen, aber wahrscheinlich richtigen Einsicht, daß unter den Verhältnissen in Spanien, wie sie nun einmal waren, selbst die beste Politik schließlich in eine Form der Diktatur einmünden müsse – kurzum, er war der Meinung, daß der Krieg entweder revolutionär oder überhaupt nichts sei und daß die Spanier nicht für eine Demokratie kämpfen und sterben würden, die nur eine bourgeoise Demokratie wäre.
    Aber Orwells Abkehr von der kommunistischen Partei war nicht das Ergebnis einer Meinungsverschiedenheit über die Frage, ob die Revolution während oder nach dem Kriege durchgeführt werden solle. Es war das Ergebnis seiner Entdeckung, daß die wirkliche Absicht der kommunistischen Partei darin bestand, zu verhindern, daß die Revolution überhaupt jemals Fuß fassen könne. – »Die Kommunisten kämpften nicht dafür, die spanische Revolution auf einen besser geeigneten Zeitpunkt zu verschieben, sondern dafür, daß sie niemals stattfinde.« Der Gang der Ereignisse tendierte unter der Führung der Kommunisten, die das Prestige und die Unterstützung Rußlands hinter sich hatten, immer nach rechts. Jeder Protest wurde durch die Drohung zum Schweigen gebracht, daß man den Krieg verliere, wenn die Reihen auseinanderbrächen. Das bedeutete in der Tat, daß die russischen Zufuhren aufhören würden, wenn man der kommunistischen Führung nicht mehr folge. Inzwischen verlor man den Krieg, da die Regierung den nichtkommunistischen Milizverbänden immer mehr mißtraute, besonders den Anarchisten. »Ich habe geschildert«, schreibt Orwell, »wie wir an der aragonischen Front bewaffnet oder nicht bewaffnet waren. Es besteht kein Zweifel, daß die Waffen absichtlich zurückgehalten wurden, damit nicht zu viele davon in die Hände der Anarchisten fielen, welche sie nachher zu revolutionären Zwecken verwenden würden. Folglich fand die große Offensive in Aragonien, die Franco gezwungen hätte, sich aus Bilbao und vielleicht aus Madrid zurückzuziehen, niemals statt.«
    Ende April, nach drei Monaten an der aragonischen Front, wurde Orwell auf Urlaub nach Barcelona gesandt. Er beobachtete den Umschwung in der Moral, der sich dort seit den Tagen seines Eintritts in die Miliz vollzogen hatte. Barcelona war nicht mehr die revolutionäre Stadt von einst. Die heroischen Tage waren vorbei. Die Miliz, die zu Beginn des Krieges so heldenhafte Dienste geleistet hatte, wurde nun zugunsten der Volksarmee verunglimpft, und ihre Mitglieder wurden verächtlich behandelt, indem man sie als ziemlich komisch, wenn nicht sogar gefährlich in ihrem revolutionären Eifer darstellte. Eine Atmosphäre des schwarzen Marktes und der Privilegien war an die Stelle des alten idealistischen Puritanismus von noch vor drei Monaten getreten. Orwell sah es, aber er zog daraus keine Schlüsse. Er wollte an die Front nach Madrid, und um dies zu erreichen, mußte er der Internationalen Brigade zugeteilt werden, die unter der Kontrolle der Kommunisten stand. Er hatte keine Einwände gegen den Dienst unter kommunistischem Befehl und hatte im Gegenteil sogar beschlossen, sich versetzen zu lassen. Doch er war müde und bei schlechter Gesundheit und wollte auf die Durchführung des Wechsels warten, bis eine weitere Woche seines Urlaubs verflossen sei. Während er zögerte, brach der Kampf in Barcelona aus.
    Die Intelligenz in New York und London wußte, was sich ereignet hatte. Die Anarchisten hatten zusammen mit den Trotzkisten der P.O.U.M. bereits seit längerer Zeit große Mengen an Waffen beiseite
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