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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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geblieben bin.
    Es ist eine Begegnung, die mich vom ersten Augenblick an entzündet hat, ein Stoff, der seither in mir arbeitet und den ich mich nun entschlossen habe, mit diesem Buch ausführlicher als alle vorangegangenen meiner irischen Unternehmungen zu behandeln.
     
    Nein, Heinrich Bölls »Irisches Tagebuch« ist nicht der Vater des meinen - wer das vermutet, den muß ich enttäuschen. Wenngleich die Klarstellung mir das Geständnis entlockt, daß ich dieses in der Mitte der fünfziger Jahre erschienene Kleinod unter den Werken über Irland, ein wahres document humain, erst zwanzig Jahre später, also lange nach meiner ersten Ankunft auf der Insel, gelesen habe.
    So wird denn auch jede ernsthafte Leserin, jeder aufmerksame Leser spüren, daß »Mein irisches Tagebuch« eine selbständige Arbeit ist, geschöpft aus eigenen Quellen, eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Beziehungen über eine lange biographische Strecke hin.
    Aber daß ich durch die Böllsche Lektüre weiter angestoßen, daß mein Interesse an Irland geschärft, die Anteilnahme vertieft wurde - das, bekenne ich gern, trifft zu. So ist denn auch die Ähnlichkeit der beiden Titel nicht zufällig zustande gekommen, sondern ein Ausdruck meiner Honneurs vor Heinrich Böll, den persönlich gekannt zu haben ich zu den großen Privilegien meines Lebens zähle.
    Womit ich diese zum Verständnis vielleicht notwendige Einführung schließen will.
     

Mein irisches Tagebuch I
     
    5. März.
    In der Nacht hat mich ein Lärm geweckt, als würde eine Flotte vielstrahliger Großjets in unmittelbarer Nähe vor einem gemeinsamen take-off stehen - das Haus am Kliff bebte in seinen Grundfesten, was mich aus dem Bett ans Fenster trieb. Die Stöße kamen von See, vom Atlantik her, Bekundungen einer Allmacht, die sich nicht auf ihre nasse Hemisphäre beschränken will, sondern mit ihrer Kraft noch weit hinein ins Land droht. Der Wind hatte die Sterne blank poliert und das Firmament frei und klar gefegt wie in den Tropen.
    Aber dann, erst wie ein Spuk, weit über St. Finan’s Bay und Bolus Head hinaus - ein fernes Licht, aufblinkend und verschwindend, in einem Rhythmus von sechzehn Sekunden (wie ich mehrfach zähle). Ein Leuchtfeuer mußte das sein, irgendwo da draußen in dem tosenden Meer, eine Botschaft in die Nacht, beruhigendes Zeichen menschlicher Hilfswilligkeit.
    Rechts, näher, viel näher ein zweites Licht, niedrig übers Wasser huschend, schemenhaft und ebenfalls in präzisem Takt wiederkehrend - woher kommt das? Tagsüber hatte ich in dieser Richtung nichts als Wasser und darin die beiden Skelligs gesehen.
    Über dieses Rätsel schlafe ich wieder ein und werde erst gegen neun Uhr aufgescheucht - durch hartes Klopfen an der Haustür. In ihrem Rahmen steht, gebeugt, verrunzelt, mit hellwachen Augen hinter den Brillengläsern und einem poltrigen »Hello«, eine Frau von etwa siebzig Jahren: in einer Wolljacke von undefinierbarer Farbe und auf einen Stock gestützt, den sie aber draußen läßt, als sie eintritt - Maureen Griffin.
    Sie ist die einzige Nachbarin weit und breit, aus dem gelbgestrichenen Haus dahinten, das von der Veranda landeinwärts über die Weide gerade noch erkennbar ist. Von dort muß sie, für ihre Behinderung ein langer Weg, ungeachtet des Sturms gekommen sein, die abschüssige Rampe vom Tor herab, für die kalte Jahreszeit meines Erachtens zu leicht bekleidet. Als ich es andeute, schüttelt sie nur den Kopf, läßt ein brüchiges Lachen hören und äußert, mit wegwerfender Handbewegung: »Hopeless« - hoffnungslos.
    Dann setzt sie sich, ganz heimisch hier, an den Tisch in der Eßdiele, ein Menschenberg, der den schweren, süßlichen Geruch verbrannten Torfs mitgebracht hat. Sie lugt in die offene Küche hinein, erkundigt sich nach den Stationen meiner Herreise und ob ich denn versorgt sei mit Lebensmitteln für die nächste Zeit. Sonst stehe sie mir mit Rat und Tat zur Seite.
    Erste ermutigende Minuten - die stumme und die gesprochene Verständigung zwischen uns scheint auf Anhieb zu klappen, nur daß Maureen dann und wann das Gesicht verzieht, wenn sie Schwierigkeiten hat, mein Oxford-Englisch zu begreifen. Doch sind wir uns binnen kurzem einig, vor dem anderen ohne Hemmungen zuzugeben, wenn wir uns nicht verstanden haben sollten. Die Sympathien scheinen auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
    Fremd ist Maureen Griffin mir ohnehin nicht, und erwartet hatte ich sie auch, das Faktotum und den guten Geist des Hauses am Kliff, von dem mir
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