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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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gibt aber auch viele ältere Bauwerke, die Insel ist nachweisbar seit 7000 Jahren von Menschen besiedelt, vorkeltischen Völkerschaften, aus deren Steinzeitdunkel nichts überkommen ist als Gräber von staunenswertem Umfang und monumentaler Architektur, Zeugnisse großer Glaubenskraft und hoher Technik. Darunter die sogenannten Ganggräber im County Meath, die ich bei früheren Aufenthalten inspiziert habe, wie Dowth und Knowth, riesige, grasbewachsene Erdbuckel, vor 4000 bis 5000 Jahren aufgeworfen und nun einer schwierigen und langandauernden Restauration unterzogen. Der weitaus eindrucksvollste dieser Megalithbauten aber ist Newgrange, eine Anlage von mehr als neunzig Metern Durchmesser und fast elf Metern Höhe, nach der Radiokarbonmethode mit 2900jahren vor unserer Zeitrechnung geortet.
    Es war damals ein seltsames Gefühl, an den spiralverzierten Steinen des Eingangs vorbei in das Innere einzudringen. Am Ende des schmalen und niedrigen, neunzehn Meter langen Gangs wölbt sich eine sechs Meter hohe Kapelle aus Gesteinsplatten, bei deren Anblick man sich erschüttert fragt, wie ihr Gewicht ohne maschinelle Kraft bewegt und da hinaufbefördert werden konnte.
    Insgesamt sind hier vor 5000 Jahren für die ganze Anlage von Newgrange 200 000 Tonnen Steine zusammengetragen worden.
    Ich kam mir wie befreit vor, als ich wieder draußen an der Luft und unterm offenen Himmel war.
    Jetzt, auf dem Weg zu der jüngeren Keltenfestung, fahre ich mit geöffnetem Schiebedach bei Castlecove vom Ring of Kerry ab, und hinein in das felsige Herz von Iveragh.
    Und dann, nach einigen holprigen Kilometern, liegt es vor mir, jenseits eines rauschenden Baches, Millionen mörtellos aufeinandergeschichtete Steine, auf einem Hügel gelegen, mit freiem Blick auf die Bucht des Kenmare River, und ungeheuerlich, weil von Menschenhand errichtet - Staigue Stone Fort, auf gälisch Cathar na Steige!
    Es ist schwer, in dieser Jahreszeit dahin zu gelangen, der Boden ist vermatscht, glatt wie Schmierseife. Aber dann bin ich dran, ducke mich an dem kaum 1,60 Meter niedrigen, von riesigen Decksteinen überdachten Eingang und messe die Mauer mit gut vier Meter Dicke und fünf Meter Höhe aus, bei einem Durchmesser des Forts von dreißig Metern.
    Auch hier allgegenwärtig der Gedanke: Wer hat diese Steine aufeinandergetürmt und zu welchem Zweck? Stimmt es, was auf einer Tafel steht: daß die in massiver Trockenbauweise errichtete Anlage ein Fluchtzentrum für die örtliche Bevölkerung in vorchristlicher Zeit gewesen sei, in dem Hunderte von Menschen bei Gefahr Schutz finden konnten? Einige Historiker halten die Ringwälle für sakrale Plätze, wieder andere für Symbole von Reichtum und Status einzelner Familien und Sippen.
    Mich überzeugt das Ungetüm schon auf den ersten Blick als ein mit äußerster logistischer Klugheit geplantes und ausgeführtes Verteidigungs- und Sicherheitsbauwerk. Innere Treppenfelder, die zur Mauerbrüstung hochführen; Furchen und Kanäle, die das Regenwasser über etwas nach unten geneigte Kragsteine schadlos durch die Mauer abtropfen lassen; zur besseren Stabilisierung schräg stehende Pfosten; die Wände nach oben verjüngt, und außen herum, von der Zeit längst zugeschüttet, aber noch zu ahnen, ein wassergefüllter Burggraben. Hier haben sie gelebt, Ackerbauern und Viehzüchter, im Anblick der See und von Bergen, deren Profile damals, ein Lidschlag der Geologiegeschichte, nicht anders aussahen als heute.
    Unwirklich fast die Gegenwart. Das Gehöft da drüben, weidende Schafe, rauchende Kamine, nicht zu vergessen die behördlichen Hinweise »Hunde sind an der Leine zu halten« und »Eintritt 50 pence«, zu entrichten in eine offene Metalldose mit roter Aufschrift »Thank you«.
    Da liegt es nun, momentan von der Sonne beschienen, Cathar na Steige, Staigue Stone Fort, oben auf dem steinernen Kranz ungleichmäßig abgewittert vom Atem der Jahrtausende, listig plaziert, um jeden Angreifer schon von weither auszumachen, selbst jedoch in vollendeter Mimikry mit den grauen Felsen ringsum, wie ein Teil der Natur. Auf dem Hinweg habe ich vom Ring of Kerry her die Festung vergeblich gesucht.
    Aber jetzt, auf der Rückfahrt und besser orientiert, entdecke ich sie doch von der Straße her in ihrer steinernen Isolation. So aus der Ferne und vor der Gebirgskulisse ist sie im Vergleich eher bescheiden anzusehen, und ist doch, von Menschen geschaffen, das Herzstück der ganzen Landschaft.
    Als ich in meiner Hosentasche jenes Steinchen
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