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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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ruhigen Schritts von seinem Erzeuger zurückgeholt und dem Sohn übergeben wird.
    Beim Vaterunser gähnt der Kleine, rutscht auf seinem Platz herum und verliert die Glaskugel ein zweites Mal. Als er sie selbst zurückholen will, wird er sanft daran gehindert.
    Maureen gluckst, fangt sich aber gleich wieder.
    Dann stehen alle von ihren Sitzen auf, geben sich die Hände und knieen abermals nieder. Maureen drückt mir beim Hinausgehen den Arm. Ich hätte sie gern gefragt, warum.
    Nach dem Gottesdienst finden sich viele Besucher in dem Laden neben der Kirche wieder, der zwar sehr beengt ist, in dem aber von der Pfeffermühle über alle Arten von Lebensmitteln bis zum Zwirn Hunderte von Artikeln des Gebrauchs und Verbrauchs lagern, scheinbar anarchisch und wahllos plaziert, aber nach jedem Kundenwunsch sofort herausgefunden. Die Bude ist verqualmt und voller Stimmen, die Bedienung zufällig - der Reihe nach, das kennt man nicht. Hier rollt ein sonntägliches Ritual ab, ein gesellschaftliches Ereignis. Alle lächeln sich freundlich an, niemand drängt sich vor, keiner will der erste sein. Die Rechnung wird auf Papier geschrieben, wo es gerade gefunden wird - wenn keines da ist,geht es auch mit den Fingern. Maureen zahlt für Milch, Brot, Yoghurt und Sausages, die ungenießbaren Würstchen. Ich fühle, wie meine Rechte in Richtung des Portemonnaies zuckt, lasse es aber dann doch lieber.
    Bevor Maureen in den Wagen ihrer Nachbarin einsteigt, sucht sie mich, winkt und ruft »God bless you«.
    Dann steigt sie in das Auto der Nachbarin und läßt sich, vor dem Hintergrund der wildbewegten St.-Finan’s-Bucht, zurückfahren. Wobei mir plötzlich klar wird, daß der Segensspruch, ungeachtet seiner Häufigkeit, keineswegs nur so dahingesagt, nicht bloße Routine ist, sondern einer Tradition entquillt, wie sie in solcher Zähigkeit selbst in den katholischsten Ländern der Erde nicht mehr anzufinden ist. Hier wird ein Ursegment irischer Geschichte sichtbar, an dem erst die Herausforderungen unseres Jahrhunderts spät zu rütteln begonnen haben.
     

Glühend vor Glaubenseifer
     
    »Ich, Patrick, Sünder, einfachster Landsmann, geringster aller Gläubigen und von vielen verachtet...“
    So beginnt die »Confessio« des Nationalheiligen St. Patrick, ein Urdokument der Frömmigkeit, dessen Verfasser zum Begründer des irischen Christentums und zum Paten des verbreitetsten Namens unter Iren geworden ist - Patrick oder, gälisch, Padraig. Beide sind abgeleitet vom lateinischen Patrizius.
    Denn der Heilige war der Sohn eines Stadtrates und christlichen Diakons im römischen Britannien, geboren Ende des 4.Jahrhunderts. Er wird als Jüngling von den Gestaden des heutigen Wales durch irische Piraten entfuhrt, auf die Insel gebracht und dort zum Sklaven gemacht. Fünfzehn Jahre später, 429, gelingt ihm die Flucht, er kehrt in sein Elternhaus zurück, empfängt die Priesterweihe, besucht nach Empfang der Priesterweihen Rom und kehrt von dort - »glühend vor Glaubenseifer« - als Bischof nach Irland zurück. Dort entfaltet er mit Hilfe eines Stabes von Jüngern eine beispiellose Missionstätigkeit - innerhalb von dreißig Jahren wird das Inselvolk, bis dahin im Bann des keltischen Druidentums, zum römischen Glauben bekehrt. Und nicht nur das. Diese einsame, damals am Rande der bekannten Welt gelegene Insel und ihre Heiligen - Enda, Kevin, Columban und Brendan - werden für die nächsten Jahrhunderte zum Zentrum des Kreuzes, zur Kraftquelle der Christianisierung Europas, ihre klösterlichen Gründungen über den ganzen Kontinent verstreut.
    Seien es Annegray und Luxeuil in Burgund; das Kloster im lombardischen Bobbio; das nach seinem Bauherrn Gallus benannte St. Gallen oder die irrtümlich als »Schottenklöster« bezeichneten Sakralbauten in Regensburg, Wien und Kiew - die Bauherren sind irische Christen.
    Nicht weniger eindrucksvoll sind die Zeugen irischer Glaubenskraft und mönchischen Lebens auf der Insel selbst - Abteien, Kirchen, Klöster.
    Eines davon, an Eindruckskraft vielleicht das stärkste, ist die Anlage von Clonmacnoise im County Offaly.
     
    Südlich von Athlone am Ostufer des Shannon gelegen, bietet das Ensemble aus Sakralbauten und Landschaft ein überwältigendes Bild: der Wald der 250 frühchristlichen Grabsteine und Hochkreuze, darunter die drei berühmtesten Irlands, South Cross, High Cross und Cross of the Scriptures; zwei Rundtürme, der eine siebzehn Meter hoch, der andere - O’Rourke’s Tower -noch einen Meter
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