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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch
Autoren: Ralph Giordano
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seine Besitzer in schier überbordender Begeisterung erzählt hatten: daß alle Schafe auf den Weiden ringsum, über vierzig, ihr und ihrem erwachsenen (aber leider immer noch nicht verheirateten) Sohn Michael gehörten; daß sie vor achtzehn Jahren Witwe geworden sei, nachdem der Tod ihren Mann von unerträglichen Gelenkschmerzen erlöst habe, und daß ihr der Schlüssel zu dem manchmal lange unbewohnten Haus bedingungslos anvertraut werden könne.
    Maureen war es also auch gewesen, die vor meiner Ankunft hier alles geordnet, geputzt und gerichtet hatte, die Heizung angestellt, den Torf vor dem Kamin aufgeschichtet und die Handtücher bereitgelegt. Wie zeigt man sich dafür erkenntlich, vermeidet man den Verdacht, ihre Hilfe als selbstverständlich hinzunehmen, eingedenk der Warnung, daß Maureen außerordentlich empfindlich sei, wenn ihre Motive mißverstanden würden? Eine erste schüchterne Andeutung meinerseits, viel zu früh, beantwortet sie, indem sie den rechten Arm hochwirft und dabei wieder laut »Hopeless!« ruft.
    Das jedenfalls dürfte ein schwieriger Balanceakt werden.
    Als ich sie wegen der blinkenden und huschenden Geisterlichter der letzten Nacht anspreche, steht sie auf, geht mit einer Geste, ihr zu folgen, gebeugt ans Fenster und streckt mit abgespreiztem Zeigefinger den rechten Arm aus - weit draußen auf See erblicke ich drei Punkte: Felsen, scharfe Konturen vor dem hellen Horizont des stürmischen Morgens.
    »The bull, the cow and the calf!« erklärt Maureen triumphierend, als wäre sie die Schöpferin der Gruppe. Stier, Kuh und Kalb? In der Tat, bei genauerem Hinsehen kann es keine treffendere Kennzeichnung geben als diese, die Natur hat es den Namensgebern wahrlich leichtgemacht: rechts vorn der erste Fels, gedrungen, bullig - der Stier; hinter ihm, langgestreckt - die Kuh, und dahinter wieder, sozusagen an ihrem Schwanz klebend und folgsam - das Kalb.
    »Die grasen vor Dursey Head«, sagt Maureen feixend, »zwanzig Meilen weit weg. Das Licht kommt von einem Leuchtturm auf dem Stier.« Dann nimmt sie mich am Ärmel, zieht mich daran vor das große Vorderfenster in der Veranda und zeigt auf die Skelligs, die in zwölf Kilometer Entfernung wie zwei von Sonnenstrahlen getroffene Fabelerscheinungen aus dem Meer ragen. Sie beugt sich noch tiefer als ohnehin schon und zieht mit beiden Händen Kreise, wie der Schein, den ich dort drüben nachts übers Wasser huschen sah. »Das Licht kommt vom Großen Skellig, von Michael, der hat einen Leuchtturm auf einem schmalen Grat, nicht sehr hoch.« Schwerfällig geht sie zu ihrem Stuhl zurück, läßt sich nieder, sagt: »Ich war nie dort, mir genügt der Anblick«, macht eine Pause, und fahrt fort: »Aber ich kenne alle Vogelarten auf dem naturgeschützten Litde Skellig. 20 000 Tiere sollen es sein.«
    Dann zählt sie auf: Baßtöpel, Dreizehenmöwen, Sturmschwalben, Papageientaucher (zwecks redlicher Übersetzung ins Deutsche schreibe ich die englischen Namen auf, wobei Maureen mir jeden einzeln buchstabiert).
    Sie erkundigt sich nach meinen Plänen, den Motiven für mein Buch, den Orten, Städten, Regionen, die ich aufsuchen will, fragt, nein, bestimmt: »Sie erzählen mir davon!« - schaut dann auf die Uhr und erhebt sich langsam.
    Ich begleite Maureen zur Tür. Sie greift nach dem angelehnten Stock, stützt sich schwer darauf und stapft, tief gebeugt gegen den Wind, die Rampe hoch.
    Kurz vor dem offenen Tor dreht sie sich um und ruft mir ein verwehtes »God bless you« zu.
     
    Gegen Mittag erster Ausflug in die irische Geschichte - zum Staigue Stone Fort am südlichen Ring of Kerry.
    Hinter Waterville geht es steil hoch zum Coomokista-Paß, riesige Felsbrocken zwischen der Straße und der See, tonnenschwer, absturzgefährdet. Rechts die Ballinskelligs Bay, überschwebt von einer riesigen grauschwarzen Wolke, die am Bolus Head schon heruntertrieft. Auf der Scheitelhöhe des Passes eine Madonnenstatue, weit hinten, braunrot von hier, Skellig Michael, und drüben, über den Kenmare River (ein vor Urzeiten überflutetes Tal, kein Fluß), die befirnten Caher-Mountains auf Beara, einer der fünf »Finger«, mit denen das südwestliche Irland weit in den Atlantik hineingreift.
    Dann hinunter nach Caherdaniel in Richtung Sneem.
    Ich bin auf der Suche nach einem der zahlreichen Ringwälle aus der Zeit zwischen 500 vor und 500 nach christlicher Zeitrechnung, keltische Festungen, von denen das steinerne Staigue Stone Fort eines der besterhaltenen sein soll.
    Es
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