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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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auch sein schmutziges Hemd geworfen hat, er trägt das noch nicht zugeknöpfte saubere, sie werden zusammen brennen, das schmutzige Hemd und der gebügelte Rock, und vielleicht gelingt es Gloria oder womöglich Miriam oder womöglich Nieves oder womöglich Berta oder Luisa, sich umzudrehen und in einer letzten Anstrengung das Gesicht zu wenden, einen Augenblick lang, und dann sieht sie mit ihren kurzsichtigen, harmlosen Augen das stark behaarte Dreieck der Brust von Ranz, meinem Vater, behaart wie die von Bill und die meine, das Dreieck dieser Brust, die uns beschützt und den Rücken deckt, vielleicht war Glorias langes, in Unordnung geratenes Haar durch den Schlaf oder die Angst oder den Schmerz verklebt, und ein paar einzelne Haare lagen quer über ihrer Stirn, wie feine Falten, die aus der Zukunft gekommen waren, um sie einen Augenblick lang zu verdüstern, den letzten, denn diese Zukunft wäre keine, nicht für sie, weder konkrete Zukunft noch abstrakte Zukunft. Aber in diesem letzten Augenblick ändert sich das Fleisch oder die Haut tut sich auf oder etwas wird aufgeschlitzt.‹)
    »Erzählen Sie es mir nicht, wenn Sie nicht wollen«, sagte Luisa. »Erzählen Sie es mir nicht, wenn Sie nicht wollen«, wiederholte Luisa, jetzt schien mir, dass sie fast darum flehte, man möge es ihr nicht erzählen.
    »Nein, ich erzähle es dir nicht, ich will es dir nicht erzählen. Danach knöpfte ich mir das Hemd zu und trat auf den Balkon, es war niemand zu sehen. Ich schloss die Tür, ging zum Schrank, in dem auch ihre wohlriechenden, reglosen Stoffe hingen, band mir die Krawatte um und zog mir ein Jackett an, es war spät für mich geworden. Ich zündete eine Zigarette an, ich begriff nicht, was ich getan hatte, aber ich wusste, dass ich es getan hatte, das sind manchmal verschiedene Dinge. Auch jetzt begreife ich es noch nicht und weiß es, wie in jenem Augenblick. Wenn ich es nicht war, dann war es niemand, und sie hat nie existiert, es ist viel Zeit vergangen, und das Gedächtnis ermüdet, wie die Sehkraft. Ich setzte mich auf das Fußende des Bettes, ich war schweißbedeckt und sehr erschöpft, die Augen taten mir weh, als hätte ich mehrere Nächte nicht geschlafen, daran erinnere ich mich, an den Schmerz der Augen, und dann dachte ich es und tat es, noch einmal dachte und tat ich es zugleich. Ich legte die brennende Zigarette auf das Laken und sah zu, wie sie verbrannte, und ich köpfte die Glut, ohne die Zigarette auszumachen. Ich zündete noch eine an, zog drei- oder viermal an ihr und legte sie ebenfalls auf das Laken. Ich tat das Gleiche mit einer Dritten, alle geköpft, es brannte die Glut der Zigaretten, und es brannte auch die einzelne Glut, dreimal Glut und dreimal Glut, sechsmal Glut, das Laken verbrannte. Ich sah, wie sie begannen, glutgesäumte Löcher zu machen (›Ich schaute einige Sekunden lang‹, dachte ich, ›wie es wuchs und der Kreis sich ausweitete, ein Fleck, der schwarz und glühend zugleich war und das Laken fraß‹), ich weiß nicht.« Mein Vater brach plötzlich ab, als hätte er den letzten Satz nicht ganz beendet. Man hörte nichts, nur sein erregtes, heftiges Atmen eine Minute lang, das Atmen eines alten Menschen. Dann fügte er hinzu: »Ich schloss die Tür des Schlafzimmers und ging hinaus und auf die Straße hinunter, und bevor ich in das Auto einstieg, wandte ich mich um und schaute von der Ecke her auf das Haus, alles war normal, es war schon dunkel, es war auf einmal dunkel geworden, und es kam noch kein Rauch heraus.« (›Und es würde ihn auch niemand von oben sehen‹, dachte ich, ›vom Balkon oder vom Fenster aus, auch wenn er vor ihnen stehenbliebe wie Miriam, als sie wartete, oder wie ein alter Drehorgelspieler und eine Zigeunerin mit Zopf, um ihrer Arbeit nachzugehen, oder wie Bill zunächst und dann ich, die wir beide vor Bertas Haus warteten, dass der andere ginge, oder wie Custardoy in einer Nacht mit silbernem Regen vor meinem.‹) »Aber das ist lange her«, fügte Ranz mit einem Schatten seiner immer gleichen, seiner altbekannten Stimme hinzu. Mir schien, als hörte ich ein Feuerzeug und ein Klirren, vielleicht hatte er eine Olive genommen, und Luisa hatte eine Zigarette angezündet. »Und außerdem, über diese Dinge spricht man nicht.«
    Noch immer herrschte Schweigen, Luisa sagte jetzt nichts, und ich konnte mir vorstellen, dass Ranz voll Ungewissheit wartete, die Hände müßig und verschränkt, vielleicht auf dem Sofa sitzend oder zurückgelehnt auf der
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