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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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Ottomane oder in dem grauen, neuen und so angenehmen Sessel, bei dessen Auswahl er wahrscheinlich behilflich gewesen war. Nicht im Schaukelstuhl, das glaubte ich nicht, nicht im Schaukelstuhl meiner Großmutter aus Havanna, die gewiss an ihre eigenen Töchter dachte, die lebende und die tote, beide verheiratet, und vielleicht an die verheiratete und tote Tochter einer anderen kubanischen Mutter, wenn sie mir in der Kindheit sang ›Mamita mamita, yen, yen, yen‹, um mir eine Angst einzuflößen, die mir wenig dauerhaft und heiter vorkam, nur eine weibliche Angst, eine Angst von Töchtern und Müttern und Ehefrauen und Schwiegermüttern und Großmüttern und Kinderfrauen. Vielleicht fürchtete Ranz, dass Luisa, seine Schwiegertochter, eine Gebärde ihm gegenüber machte, die bedeuten könnte ›Geh weg‹ oder aber ›Hauen Sie ab‹. Aber was Luisa schließlich sagte, war Folgendes:
    »Es wird Zeit, an das Abendessen zu denken, wenn Sie Hunger haben.«
    Ranz’ erregtes, heftiges Atmen hörte auf, und in seiner Antwort meinte ich Erleichterung zu erkennen:
    »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich Hunger habe. Wenn du einverstanden bist, dann können wir einen Spaziergang bis zum ›Alkalde‹ machen, und wenn wir dort sind, gehen wir rein, wenn wir Lust haben, und wenn nicht, begleite ich dich zurück, und jeder geht nach Hause. Ich hoffe, wir finden Schlaf heute Nacht.«
    Ich hörte, wie sie aufstanden und Luisa ein wenig aufräumte, was sie auf den kleinen, niedrigen Tisch gestellt hatte, eines der wenigen Möbelstücke, die wir zusammen gekauft hatten. Ich hörte ihre Schritte in die Küche und zurück und dachte: ›Jetzt wird sie hier hereinkommen müssen, um sich umzuziehen oder irgendetwas zu holen. Ich habe Lust, sie zu sehen. Wenn sie gehen, werde ich mir die Zähne putzen und Wasser trinken können, und vielleicht ist eine Olive übrig geblieben.‹
    Mein Vater, der bestimmt schon im Mantel war oder ihn vielmehr um die Schultern gelegt hatte, ging bis zum Eingang und öffnete die Wohnungstür.
    »Bist du so weit?«, fragte er Luisa.
    »Einen Augenblick«, antwortete sie, »ich hol noch rasch ein Tuch.«
    Ich hörte ihre Absätze, die näher kamen, ich kannte ihre Schritte gut, sie klangen auf dem Holz sehr viel diskreter als die metallischen Schuhe von ›Bill‹ auf dem Marmor oder die von Custardoy überall und jederzeit. Diese Schritte hinkten nicht, auch nicht in barfüßigem Zustand. Sie stiegen nicht schwerfällig die Stufen einer Leiter hoch, auf der Suche nach Patronen für unbekannte Füllfederhalter. Sie rammten sich auch nie wie Messer in das Pflaster, sie schleiften den spitzen Absatz nicht rasch und wütend über den Boden, nie wären sie wie Sporn und Axthiebe. Nicht, wenn es von mir abhing, oder das hoffte ich, es waren glückliche Schritte. Ich sah durch den Spalt ihre Hand auf der Klinke meiner Tür. Sie würde hereinkommen, ich würde sie sehen, seit drei Wochen hatte ich sie nicht gesehen, fast seit acht hatte ich sie hier nicht gesehen, in unserer Wohnung und unserem Schlafzimmer und auf unserem Kissen. Aber bevor sie die Tür aufstieß, rief sie Ranz durch den Flur zu, er stand wahrscheinlich noch immer am Eingang, wo er, den Mantel um die Schultern, den Fahrstuhl rief:
    »Juan kommt morgen. Möchten Sie, dass ich es ihm erzähle, oder soll ich ihm nichts sagen?«
    Ranz’ Antwort erfolgte rasch, aber die Worte kamen langsam und müde heraus, mit rostiger und heiserer Stimme, wie durch einen Helm hindurch:
    »Ich wäre dir sehr dankbar«, sagte er, »ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir ersparen würdest, jetzt darüber nachzudenken, ich weiß nicht, was besser ist. Überleg du es für mich, wenn du willst.«
    »Seien Sie unbesorgt«, sagte Luisa und stieß die Tür auf. Sie machte das Licht erst an, als sie sie geschlossen hatte, sie musste sogleich den vielen Rauch meiner Zigaretten bemerkt haben. Ich stand noch nicht auf, wir küssten uns nicht, es war noch, als sähen wir uns nicht, ich war noch nicht da. Sie schaute mich verstohlen an, sie lächelte mich verstohlen an, sie öffnete unseren Schrank und nahm ein Tuch mit Tieren von Hermès, das ich ihr von einer früheren Reise mitgebracht hatte, als wir noch nicht verheiratet waren. Sie roch gut, ein neues Parfüm, es war nicht das Trussardi, das ich ihr geschenkt hatte. Sie hatte ein müdes Gesicht, als täten ihr die Augen weh, Ranz’ Augen, sie war hübsch. Sie legte sich das Tuch um den Hals und sagte:
    »Du siehst
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