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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
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also.«
    Und mir wurde sofort bewusst, dass dies der Satz war, den Berta zu mir gesagt hatte, als sie im Morgenmantel hinter mich getreten war und ich sie in meinem Rücken sah, widergespiegelt im dunklen Glas des Bildschirms, nachdem ich das Video zu Ende angeschaut hatte, das sie bestimmt schon mehrmals gesehen hatte und noch weiter sehen würde und vielleicht noch heute sah. Deshalb, nehme ich an, antwortete auch ich jetzt mit den gleichen Worten. Ich erhob mich. Ich legte Luisa die Hand auf die Schulter.
    »Ich sehe«, sagte ich zu ihr.

J etzt hat mein Unbehagen nachgelassen, und mein Vorgefühl ist nicht mehr so katastrophal, und obwohl ich noch nicht fähig bin, wie früher an die abstrakte Zukunft zu denken, bin ich imstande, wieder vage zu denken, die Gedanken zu dem schweifen zu lassen, was kommen wird oder kommen kann, mir ohne allzu viel Bestimmtheit noch Interesse Fragen über das zu stellen, was morgen oder in fünf Jahren oder in vierzig Jahren aus uns werden mag, über das, was man nicht voraussehen kann. Ich weiß oder glaube, dass ich das, was zwischen Luisa und mir geschehen ist oder geschieht, vielleicht erst nach Ablauf einer sehr langen Zeit erfahren werde, oder vielleicht wird es nicht an mir sein, es zu wissen, sondern an meinem Nachkommen, wenn wir einen haben, oder an jemand Unbekanntem und Fremdem, der sich womöglich auch noch nicht in der begehrten Welt befindet, geboren werden hängt von einer Bewegung, einer Geste, einem Satz ab, der am anderen Ende dieser selben Welt ausgesprochen wird. Fragen und schweigen, alles ist möglich, schweigen wie Juana Aguilera oder fragen und zwingen wie ihre Schwester Teresa, oder weder das eine noch das andere tun, wie jene erste Frau, die ich Gloria getauft habe und die nicht oder nicht lange existiert zu haben scheint, nur für ihre heiratsfreudige Mutter, eine Schwiegermutter, die mittlerweile untröstlich in Kuba gestorben sein wird, Witwe und ohne Tochter, die Schlange verschluckte sie, in den Sprachen, die ich kenne, gibt es kein Wort, das das Gegenteil von »Waise« bedeutet. Sie wird in jedem Fall sehr bald völlig zu existieren aufhören, wenn die Stunde von Ranz gekommen ist und Luisa und ich nur noch imstande sind, uns an das zu erinnern, was uns geschehen ist oder was wir getan haben, und nicht an das, was man uns erzählt hat oder was anderen widerfahren ist oder andere getan haben (wenn unsere Herzen nicht so weiß sind). Bisweilen habe ich das Gefühl, dass nichts von dem, was geschieht, geschieht, dass alles passiert und gleichzeitig nicht passiert ist, weil nichts ununterbrochen geschieht, nichts dauert oder beharrt unaufhörlich oder bleibt unaufhörlich in der Erinnerung, und sogar die monotonste und routinemäßigste Existenz hebt sich auf und negiert sich selbst in ihrer scheinbaren Wiederholung, bis nichts und niemand mehr ist wie zuvor, und das schwache Rad der Welt wird von Vergesslichen angetrieben, die hören und sehen und wissen, was nicht gesagt wird und nicht stattfindet und nicht erkennbar und nicht nachprüfbar ist. Bisweilen habe ich das Gefühl, das, was sich ergibt, ist identisch mit dem, was sich nicht ergibt, was wir ausschließen oder vorbeigehen lassen, identisch mit dem, was wir nehmen und ergreifen, was wir erfahren, identisch mit dem, was wir nicht ausprobieren, und doch geht es um unser Leben und vergeht unser Leben damit, dass wir auswählen und ablehnen und entscheiden, dass wir eine Linie ziehen, welche diese identischen Dinge trennt und aus unserer Geschichte eine einzigartige Geschichte macht, an die wir uns erinnern und die sich erzählen lässt, sei es sofort oder nach Ablauf der Zeit, und auf diese Weise gelöscht wird oder verblasst, die Aufhebung dessen, was wir werden und was wir tun. Wir verwenden unsere ganze Intelligenz und unsere Sinne und unser Bestreben auf die Aufgabe, zu unterscheiden, was eingeebnet wird oder es schon ist, und deshalb sind wir reich an Reuegefühlen und verpassten Gelegenheiten, an Bestätigungen und Bekräftigungen und genutzten Gelegenheiten, wo es doch so ist, dass nichts Bestand hat und alles verlorengeht. Niemals gibt es ein Ganzes, oder vielleicht hat es nie etwas gegeben. Aber es stimmt auch, dass für nichts die Zeit vergeht und alles da ist und darauf wartet, dass man es zurückholt, wie Luisa sagte.
    Jetzt bin ich dabei, neue Tätigkeiten in Erwägung zu ziehen, ebenso wie sie, es scheint, wir sind es beide leid, diese Reisen von acht Wochen oder sogar weniger zu
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