Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
der Reihe ist. Aber das spielt keine große Rolle, alles ist Vergangenheit und ist nicht geschehen, und außerdem weiß man es nicht. Was ich an jenem Abend von Ranz’ Lippen hörte, erschien mir nicht verzeihlich und erschien mir auch nicht harmlos und löste auch kein Lächeln bei mir aus, aber es erschien mir als vergangen. Alles ist es, selbst das, was geschieht.
    Ich glaube nicht, dass ich je wieder etwas von Miriam hören werde, es sei denn, sie erreicht, dass man sie aus Kuba oder aus diesem neuen Kuba rausholt, für das es so viele Pläne gibt, oder sie gelangt in Kürze zu Wohlstand und der Zufall eilt ihr zu Hilfe. Ich glaube, ich würde sie überall wiedererkennen, auch wenn sie nicht mehr ihre gelbe Bluse mit dem runden Ausschnitt und ihren engen Rock und ihre hohen Absätze trüge, die sich in den Boden rammten, auch wenn nicht ihre riesige Tasche am Arm baumelte statt über der Schulter, wie es heute Sitte ist, ihre unverzichtbare Tasche, die sie aus dem Gleichgewicht brachte. Ich würde sie wiedererkennen, auch wenn sie jetzt mit Anmut liefe und ihre Fersen nicht über ihre Schuhe hinausragten und sie nicht Gebärden machen würde, die bedeuten ›Du komm her‹ oder ›Du gehörst mir‹ oder ›Ich bring dich um‹. Eines Tages Guillermo zu begegnen, wäre nicht schwierig in Madrid, leider, alle Welt kennt sich früher oder später, selbst die, die von draußen kommen und bleiben. Aber ihn könnte ich nicht wiedererkennen, nie habe ich sein Gesicht gesehen, und eine Stimme und Arme reichen nicht aus, um jemanden wiederzuerkennen. An manchen Abenden, vor dem Einschlafen, kommen mir die drei in den Sinn, Miriam und er und die kranke Frau, Miriam sehr weit und die beiden wer weiß ob in meiner eigenen Stadt oder in meiner eigenen Straße oder in unserem Haus. Es ist fast unmöglich, jemandem, dessen Stimme man gehört hat, kein Gesicht zu geben, und deshalb gebe ich ihm manchmal das von ›Bill‹, das einen Schnurrbart hatte und das wahrscheinlichste ist, vielleicht weil es seines ist, auch ihm kann ich in dieser so mobilen Stadt begegnen; andere Male stelle ich ihn mir wie den Schauspieler Sean Connery vor, ein Held meiner Kindheit, der im Film oft Schnurrbart trägt, was für ein großer Schauspieler; aber auch das obszöne und knochige Gesicht von Custardoy spielt hinein, der sich den Schnurrbart abwechselnd stehen lässt und abrasiert, oder das von Ranz selbst, der ihn in seiner Jugend trug, sicher als er in Havanna lebte und später, als er schließlich Teresa Aguilera heiratete und mit ihr auf seine Hochzeitsreise ging; oder auch meines, mein Gesicht, das keinen Schnurrbart hat und ihn auch nie gehabt hat, aber es kann sein, dass ich ihn mir eines Tages stehen lasse, wenn ich älter bin und um zu verhindern, meinem Vater zu ähneln, wie er jetzt ist, wie er jetzt ist und ich ihn hauptsächlich in Erinnerung behalten werde.
    In vielen Nächten spüre ich, wie Luisas Brust im Bett meinen Rücken berührt, beide wach oder beide schlafend, sie neigt dazu, nah zu rücken. Sie wird immer da sein, so ist es vorgesehen, und das ist die Vorstellung, obwohl so viele Jahre fehlen, um dieses ›immer‹ voll zu machen, dass ich mich bisweilen frage, ob sich nicht alles ändern kann im Lauf der Zeit und im Lauf der abstrakten Zukunft, die als Einzige zählt, weil die Gegenwart sie nicht zu färben oder sich anzugleichen vermag, und das kommt mir jetzt wie ein Unglück vor. Ich möchte in diesem Augenblick, dass nichts sich je ändert, aber ich kann nicht ausschließen, dass nach Ablauf irgendeiner Zeit jemand, eine Frau, die ich noch nicht kenne, eines Nachmittags zu mir kommen wird, wütend über mich oder erleichtert, weil sie mich endlich gefunden hat, und mir dennoch nichts sagt und wir uns nur anschauen oder uns stumm im Stehen umarmen oder an das Bett herantreten, um uns auszuziehen, oder vielleicht beschränkt sie sich darauf, die Schuhe abzustreifen, und zeigt mir ihre Füße, die sie bestimmt sorgfältig gewaschen hat, bevor sie das Haus verließ, weil ich sie sehen oder sie streicheln könnte, und die jetzt gewiss müde sind und schmerzen (die Sohle des einen vom Pflaster beschmutzt). Vielleicht geht diese Frau ins Badezimmer und schließt sich einige Minuten dort ein, ohne etwas zu sagen, um sich anzuschauen und ihre Fassung zurückzugewinnen und nach Möglichkeit aus ihrem Gesicht die Spuren des Zorns und der Müdigkeit und der Enttäuschung und der Erleichterung zu tilgen, die sich akkumuliert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher