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Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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der Hand.«
    »Halt die Klappe und geh endlich.«
    Michael seufzte, hob den linken Fuß und setzte ihn ungefähr fünfzehn Zentimeter weiter vorne wieder auf den Boden. Dann zog er den rechten Fuß nach vorne. »Godzilla im Anmarsch auf Tokio«, sagte er ächzend.
    Er wiederholte die Übung, bis er vor der Kloschüssel stand. Mit Hilfe eines Handtuchhalters, den er als Stütze benutzte, drehte er sich um. Dann verzog er das Gesicht und ließ los.
    Er legte eine Punktlandung hin.
    Jon stand lässig an den Türrahmen gelehnt da und lächelte ihn an. »Na siehst du.«
    »Sollte man einer Dame nicht eine gewisse Intimsphäre lassen?« sagte Michael.
    »Augenblick.« Jon eilte ins Wohnzimmer und kam mit dem Chronicle zurück. Er legte ihn Michael auf den Schoß. »Noch etwas leichte Lektüre.«
    Die erste Seite beherrschte ein Foto von Burke und Mary Ann, die sich reichlich nervös auf einer Pressekonferenz präsentierten.
    Die Balkenüberschrift lautete:
     
    EPISKOPALE KANNIBALENSEKTE ENTLARVT!
     
    Später unterhielten sich Jon und Michael in der Küche bei Kaffee und Rosinentoast über die Ereignisse der Woche. Michael hielt die Zeitung hoch.
    »Was soll das eigentlich? Wollte Burke nicht exklusiv in der New West darüber berichten?«
    »Wollte er auch, aber die Polizei ist ihm zuvorgekommen. Der Polizeichef hat gestern eine Pressekonferenz einberufen und dafür gesorgt, daß für ihn auch noch ein bißchen Publicity abfällt. Burke war stinksauer, denn der Polizeichef hatte ihm versprochen, daß er Stillschweigen bewahrt, bis die Geschichte in der New West rauskommt. Das Ergebnis war ungefähr das gleiche: ein Riesentumult. Burke hat dann halt gestern gegen Abend bei der New West seine eigene Pressekonferenz abgehalten.«
    Michael lächelte. »Mary Ann geht sicher schon auf dem Zahnfleisch.«
    »Ach, sie hält sich eigentlich ganz gut. Sie hat gesagt, daß sie dich heute nachmittag besuchen kommt.«
    »Schön.«
    »Mach ja keine blöden Sprüche, Michael. Die Geschichte hat sie doch ein bißchen mitgenommen.«
    »Okay. Ich verspreche, daß ich keine Kannibalenwitze erzähle.« Michael grinste. »Obwohl es nett wäre.«
    »Genau das hab ich gemeint.«
    »Okay. Okay. Obwohl ich in gewisser Hinsicht genauso in der Sache drinstecke wie Mary Ann.«
    »Wie das denn?«
    »Na, was wäre denn passiert, wenn ich im St. Sebastian’s gestorben wäre? Diese Sektenheinis hätten sich dann über mich hergemacht da oben auf dem Steg.«
    Jon schüttelte lächelnd den Kopf. »Sie haben keine ganzen Menschen verspeist, mein Schatz. Bloß Teile. Amputierte Teile.«
    »Ach, hätte doch sein können!«
    »Nein. Die Teile waren leichter zu verstecken. Und zu transportieren. Es war kein Problem, sie aus der Chirurgie in den Kühlraum von Tyrones Blumenladen zu bringen. Und für die Fahrt zur Kathedrale paßten sie wunderbar in die Kühlbox.«
    Michael verzog das Gesicht. »Wie oft haben sie das eigentlich gemacht?«
    »Wer weiß?« sagte der Doktor schulterzuckend. »Vielleicht zweimal die Woche, vier oder fünf Monate lang. Burke ist wohl gleich in der Anfangszeit der Sekte darauf gestoßen. Als er noch im Chor gesungen hat.«
    Michael verdrehte die Augen. »An seiner Stelle wäre ich damals nach Nantucket zurückgegangen.«
    »Völlig undenkbar. Burke ist doch Journalist. Er war total scharf auf die Geschichte. So scharf, daß er sich bei der Sekte eingeschmeichelt und dann gleich einen Blick auf die Vorgänge riskiert hat, die sich in der Kathedrale oben auf dem Steg abgespielt haben. Etwas Abgedrehtes hatte er ja erwartet, aber nichts dermaßen Abgedrehtes. Denn das hat er nicht gepackt.«
    »Dann war er also nie im Blumenladen vom St. Sebastian’s?«
    »Anscheinend nicht. Er sagt, daß er von den Verbindungen zum Krankenhaus keine Ahnung hatte, bis Mary Ann ihn darauf aufmerksam gemacht hat.«
    Michael runzelte die Stirn. »Das ergibt aber keinen Sinn.«
    »Warum nicht?«
    »Wegen der Rosenphobie. Was ist mit der roten Rose?«
    »Gute Frage«, sagte der Doktor.

Eine Rose ist eine Rose
    Michael stand in seinem Gehgestell, als er Mary Ann an der Tür begrüßte. »Hallo«, sagte er unbeschwert. »Willkommen im Behindertenheim Barbary Lane.«
    Sie küßte ihn auf die Wange. »Sehr behindert kommst du mir aber nicht vor.«
    »Rate mal, was ich heute vormittag gemacht habe.«
    »Was?«
    »Ich hingegangen, Babycakes. Ohne dieses verfluchte Ding hier.«
    »Mouse!«
    »Ist das nicht affenscharf?«
    »Mach’s mir vor, Mouse. Mach’s mir
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