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Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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doch nichts verbrochen, Mary Ann.«
    »Ich habe seinen Tod nicht angezeigt.«
    Er zwang sich zur Geduld. Sie hatten es schon so oft durchgekaut, daß das Reden darüber zu einem Ritual geworden war. »Dieser Kerl«, sagte Michael sanft, »war ein ausgesprochenes Arschloch. Vergiß nicht, daß er Kinderpornos gemacht hat. Und du hast ihn doch nicht runtergestoßen von der Klippe, Mary Ann. Sein Tod war ein Unglück. Und wenn du seinen Tod angezeigt hättest, wärst du außerdem verpflichtet gewesen, der Polizei davon zu erzählen, daß er über Mrs. Madrigal Nachforschungen angestellt hat. Dafür mögen wir Mrs. Madrigal aber beide viel zu gern, und zwar unabhängig davon, was in der Akte gestanden hat.«
    Schon bei der bloßen Erwähnung der Akte schüttelte es Mary Ann. »Ich hätte sie auf keinen Fall verbrennen sollen, Mouse.«
    Also kaute Michael ihr auch das noch einmal vor. Daß sie die Akte verbrannt hatte, erklärte er ihr, war ihre allerklügste Entscheidung gewesen. Indem sie das Dossier des Privatdetektivs über Mrs. Madrigal vernichtet hatte, hatte sie gleich einen doppelten Treffer gelandet: Erstens hatte sie verhindert, zur Mitwisserin von vertraulichen Informationen zu werden, die sie dann vielleicht an die Polizei hätte weitergeben müssen. Und zweitens hatte sie die Akte dem Zugriff der Polizei entzogen.
    Die Polizei war in der Barbary Lane 28 aufgetaucht, sobald Mrs. Madrigal ihren Mieter als vermißt gemeldet hatte. Es stellte sich heraus, daß die Beamten ihre Ermittlungen nach Schema F betrieben und nach kurzer Zeit wieder einstellten. Wie die Polizisten in Erfahrung brachten, handelte es sich bei Norman Neal Williams um einen Durchreisenden, einen Handelsvertreter für Vitaminpräparate, der ohne greifbare Verwandte war. Seine Verwicklung in das Kinderpornogeschäft wurde sofort aufgedeckt, doch Mary Ann tat so, als hätte sie davon nichts gewußt.
    Sie erzählte der Polizei, daß sie ein paarmal »mit ihm ausgegangen« war. Sie hatte ihn nicht besonders gut gekannt. Er war ihr manchmal »ein bißchen eigenartig« vorgekommen. Und, ja, sie hielt es für möglich, daß er in eine andere Stadt gezogen war.
    Nachdem die Polizei gegangen war, hatte sie Michael in ihre Wohnung gerufen und war mit ihm die tatsächlichen Geheimnisse dieses schrecklichen Kapitels in ihrem Leben durchgegangen.
    Wußte die Polizei, daß Norman Neal Williams Privatdetektiv gewesen war?
    Wußte Mrs. Madrigal, daß sie Gegenstand von Williams’ Nachforschungen gewesen war?
    Würde Williams’ Leiche an Land gespült werden?
    Und warum sollte jemand Nachforschungen anstellen über eine so warmherzige und mitfühlende und … harmlose Frau wie Anna Madrigal?
    Mexiko war natürlich eine Flucht, aber keine von der Art, wie Mary Ann sie gemeint hatte. Eine morbide Beklommenheit hatte sich in ihrem Körper breitgemacht wie Moder. Sie beschloß, sie aus sich herauszu braten . In jungen Jahren war das ihre Lösung für so gut wie alles gewesen.
    Sie verstaute eine Flasche Coppertone-Sonnenmilch in einer Seitentasche ihres American-Tourister-Rucksacks. »Weißt du was?« sagte sie mit gekünsteltem Optimismus.
    »Was?«
    »Diese Reise wird ein Schlager. Ich lerne garantiert jemand kennen, Mouse.«
    »Meinst du etwa einen Mann?«
    »Mouse, natürlich bist du der tollste Begleiter von der Welt, aber …«
    »Hör mal, das brauchst du mir nicht zu erklären. Ich hab eh schon einen sagenhaften Plan: Ich entdecke auf dem Schiff einen Typen, ja? Er räkelt sich am Swimmingpool, oder …
    Jedenfalls schlender ich ganz lässig auf ihn zu, mit dir am Arm, und du bist braungebrannt und siehst einfach zum Anbeißen aus, so daß er gar nicht anders kann, als vor Neid zu vergehen, und dann sage ich mit meiner markigsten Lee-Majors-Stimme: ›Heh, du da, ich bin Michael Tolliver, und das ist Mary Ann Singleton. Bist du auf sie scharf oder auf mich?‹ «
    Mary Ann kicherte. »Und was ist, wenn er weder auf dich noch auf mich scharf ist?«
    »Dann«, sagte Michael nüchtern, »stößt du ihn in Acapulco von der erstbesten Klippe.«

Mona reißt aus
    Nachdem sie Mary Ann und Michael zum Flughafen gefahren hatte, kehrte Mona in die Barbary Lane zurück. Dort verfiel sie in eine Niedergeschlagenheit von kosmischen Ausmaßen.
    Sie war schwer verunsichert. Einerseits wegen des sonderbaren Anrufs ihrer Mutter, andererseits deswegen, weil zwei ihrer Freunde es geschafft hatten, dem inzestuösen Provinzbabylon namens San Francisco zu entkommen.
    Das
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