Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
Vom Netzwerk:
lange?«
    »Für meine Begriffe nicht. Ich glaube … wahrscheinlich, seit du auf der High-School warst.«
    »Das ist noch nicht lange.«
    Sie lächelte. »Ich habe fast damit gerechnet, daß du so was sagst.«
    »Können Sie sich noch an das erste Mal erinnern?«
    »Nein. Aber ich kann mich an das dritte Mal erinnern.«
    »Hat es beim ersten Mal nicht geklappt?«
    »Doch. Es hat geklappt.« Sie gluckste. »Kannst du Leute ausstehen, die so was sagen?« Sie äffte die Stimme einer ältlichen Matrone nach. »Die Kinder haben darauf bestanden, daß ich Pot rauche, und deswegen habe ich es dann auch ausprobiert, Madge, aber das eine kann ich dir sagen: Ausgelöst hat es bei mir rein gar nichts, nein, rein gar nichts!«
    Brian lachte. »Manchmal stimmt es aber. Bei meinem ersten Mal hat es jedenfalls nicht geklappt.«
    »Na und?« Die Vermieterin zuckte mit den Schultern. »Wenn man das erste Mal Sex hat, klappt es auch nicht. Und trotzdem ist es das erste Mal. Reicht das nicht?«
    »Wahrscheinlich schon.«
    »Es gibt nichts Tolleres als das Hochgefühl bei einem ersten Mal. Absolut nichts.«
    »Das klingt ganz so, als hätten Sie schon eine Menge erste Male hinter sich.«
    »Ich tu mein Bestes. Und du wechselst das Thema.«
    »Tut mir leid. Ich hab den Faden verloren.«
    »Ich wollte dir von meinem dritten Mal erzählen.«
    »Ach ja.«
    »Das dritte Mal«, sagte Mrs. Madrigal und zupfte die Ärmel ihres Kimonos zurecht, »hat im Zoo von San Francisco stattgefunden. Direkt nach der Ermordung von Bobby Kennedy.«
    »Depri, hm?«
    »Nein … Ich meine, ich habe mich nicht deswegen vollgedröhnt. Man hatte ihn halt ermordet, das war alles. Jedenfalls kannte ich diesen liebenswürdigen kleinen Kerl aus dem Zoo, der für die Affen zuständig war. Eigentlich trifft die Beschreibung gar nicht. Er war eher selber einer von den Affen. Er hatte nämlich ganz schön lange Arme und war ziemlich behaart, und die Affen fanden ihn schlicht wunderbar. Ich fand ihn auch ganz wunderbar, weil er so ausgezeichnet Backgammon spielte. Na ja, an dem besagten Tag hielten wir ein nettes langes Pläuschchen ab, und zwar in diesem merkwürdigen Gittergang, der von den Affenställen zu dem Käfig führt, wo die Gorillas immer hingehen und in aller Öffentlichkeit an sich rummachen …«
    Brian lachte glucksend.
    Mrs. Madrigal zog eine Augenbraue hoch. »Sind Zoos denn nicht gerade dazu da? Warum schauen sich die Leute sonst Gorillas an?«
    »Ich verstehe, was Sie meinen.«
    »Wir standen also in diesem Gang und unterhielten uns ganz reizend, als diese ziemlich furchterregende Gorilladame angewackelt kam und sich zu uns gesellte. Sie stellte sich neben meinen Tierpflegerfreund und legte ihm den Arm um die Schulter, als wären sie alte Schulkameraden oder so was. Dann sagte mein Freund: ›Ach, das hätt ich jetzt beinah vergessen‹ und zog einen Joint aus der Hemdtasche. Er zündete den Joint an, zog einmal kräftig daran und gab ihn an den Gorilla weiter …«
    »Ach, das gibt’s doch nicht!«
    »Gott ist mein Zeuge! Und dann, wenn’s dir recht ist, machte der Gorilla einen langen Zug und gab den Joint an mich weiter!«
    »Meine Güte. Was haben Sie gemacht?«
    »Ich besitze ja Anstand, mein Junge. Ich habe den Joint freundlich und ohne Zögern angenommen und ihn nachher wieder meinem Freund zurückgegeben. Die Gorilladame ist noch auf zwei Züge bei uns geblieben, dann ist sie den Gang entlangmarschiert, um ihr Publikum zu begrüßen. Aber da war sie schon eine sehr angeheiterte Gorilladame.«
    »Hat sie das immer gemacht?«
    »Jeden Tag. Wahrscheinlich hat es ihr geholfen, mit allem fertig zu werden.«
    »Ist sie noch immer im Zoo?«
    Mrs. Madrigal tippte mit dem Zeigefinger an ihre geschürzten Lippen. »Weiß ich eigentlich gar nicht. Ich frage mich oft, ob sie noch lebt. Gorillas können sehr alt werden, soviel ich weiß. Ich hätte große Lust, sie mal wiederzusehen.«
    »Warum?«
    »Ach … wahrscheinlich, weil wir eine Menge Gemeinsamkeiten haben. Sie war ein zähes altes Mädchen, und sie hat sich so viel Spaß geholt, wie sie nur kriegen konnte. Und auch … weil sie vieles noch recht spät im Leben gelernt hat.«
    »Was haben Sie denn gelernt?«
    Sie bedachte ihn mit einem mißbilligenden Lächeln. »Ich habe gelernt, daß du viel zu neugierig wirst, wenn du was geraucht hast.«
    »Ich habe Sie nicht nach Ihrer ganzen Lebensgeschichte gefragt.«
    »Wie schade. Das solltest du unbedingt mal nachholen. Aber nicht, wenn ich was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher