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Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten
Autoren: Armistead Maupin
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unterstützt.
    Dein Vater hat mir dauernd gesagt, ich soll bloß still sein und mich nicht lächerlich machen, aber Du kennst mich ja. Ich mußte natürlich auch mein Scherflein dazu beitragen. Ich bin aufgestanden und habe gesagt, daß wir meiner Meinung nach alle niederknien und dem Herrn danken sollten, daß jemand so Berühmtes wie Anita Bryant den Mächten von Sodom und Gomorrha den Kampf angesagt hat. Etta hat gesagt, daß wir das in unsere Resolution aufnehmen sollten, und da war ich dann mächtig stolz.
    Reverend Harker hat gemeint, daß wir zu der Mietgeschichte vielleicht lieber nichts schreiben sollten, weil doch Lucy McNeil das Zimmer über ihrer Garage an diesen tuckigen Mann vermietet hat, der in der Dixie Dell Mall Teppiche verkauft. Lolly hat aber gesagt, daß das nichts ausmacht, denn Lucy hat das ja freiwillig gemacht, und außerdem ist es viel einfacher, wenn man es einem von denen ansieht, daß er homosexuell ist. Auf die Weise kann man seine Kinder vor so einem warnen.
    Na, wahrscheinlich höre ich mich an, als würde ich bei einem Kreuzzug mitmachen, was? Ich hoffe, Du hältst Deine alte Mama nicht für eine lächerliche Idealistin. Ich glaube bloß fest daran, daß der Herr uns geschaffen hat, damit wir alle sein geheiligtes Wort hinaustragen.
    Heute vormittag habe ich bei Etta drüben Bubba getroffen. Er ist so ein netter junger Mann. Meine Güte! Ich kann es kaum glauben, daß es schon mehr als acht Jahre her ist, daß ihr beide zum letztenmal am Cedar Creek zelten wart. Er hat nach Dir gefragt. Er unterrichtet jetzt an der High-School Geschichte und ist immer noch nicht verheiratet, aber wahrscheinlich ist es heutzutage auch reichlich schwer, die Richtige zu finden.
    Blackie hat den Frost nicht besonders vertragen und liegt bloß träge im Haus herum. Ich fürchte, wir müssen ihn bald einschläfern lassen. Er ist schon furchtbar alt.
    Paß auf Dich auf, Mikey. Wir lieben Dich sehr.
    Mama
     
    P.S.: Wenn Du für Deine Reise noch etwas zu lesen brauchst, dann empfehle ich Dir Anita Bryants Autobiographie. Sie heißt »Mine Eyes Have Seen the Glory«.

Die Flucht
    AmVorabend ihrer Kreuzfahrt nach Mexiko steckten Mary Ann und Michael über ihren Koffern verschwörerisch die Köpfe zusammen. »Wie wär’s«, sagte Michael grinsend, »wenn wir es in ein Kleenex einwickeln und dann in deinen BH …«
    »Das finde ich gar nicht komisch, Mouse.«
    »Aber, sieh mal: Wir müssen es doch nicht mit an Land nehmen. Es ist ja nicht so, als wollten wir es in Acapulco auf der Straße rauchen. Herrgott, einen Zöllner kriegen wir sowieso erst zu sehen, wenn wir wieder nach L. A. zurückkommen.«
    Mary Ann seufzte und setzte sich auf die Bettkante.
    »Ich hab mal zu den Future Homemakers of America gehört, Mouse.«
    »Na und?«
    »Na, und jetzt schmuggle ich Dope nach Mexiko.«
    »Und außerdem verreist du mit einem« – er senkte seine Stimme zu einem bedrohlich klingenden Baß – »bekennenden Homosexuellen.«
    Mary Ann lächelte schwach. »Das noch dazu.«
    Michael schaute sie einen Moment lang an, um herauszufinden, wie ernst sie ihn genommen hatte. Es gab selbst jetzt noch Situationen, in denen seine Ironie dem, was sie tatsächlich empfand, gefährlich nahe kam. Sie zwinkerte ihm allerdings zu, so daß er mit dem Packen weitermachte.
    »Der Ausdruck gefällt mir«, sagte er, ohne aufzublicken.
    »Welcher?«
    »›Ein bekennender Homosexueller.‹ Ich meine, hast du jemals von einem bekennenden Heilsarmisten gehört? Oder von einem bekennenden Versicherungsvertreter? Und wenn du kein bekennender Homosexueller bist, dann bist du ein notorischer. ›Mr. Farquar, ein notorischer Börsenmakler, wurde heute morgen im Golden Gate Park erstochen aufge …‹«
    »Mouse, davon kriege ich Gänsehaut!«
    »Entschuldige.«
    Sie drückte seine Hand. »Ich wollte dich nicht anschnauzen. Es ist bloß … Na ja, ich bin immer noch ein bißchen schreckhaft, wenn es um Tote geht, das ist alles.«
    Er wollte schon sagen: »Über die Klippe kommst du auch noch hinweg«, besann sich dann aber eines besseren. Er hielt statt dessen Mary Anns Hand fest und besänftigte sie zum dritten- oder viertenmal in dieser Woche. »Wird schon werden, Babycakes. Es ist ja erst zwei Monate her.«
    Sie bekam feuchte Augen. »Und du glaubst nicht, daß wir … davonlaufen oder so?«
    »Vor was?«
    Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge, zuckte mit den Schultern und sagte etwas kleinlaut: »Vor der Polizei vielleicht?«
    »Du hast
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