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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie
Autoren: Ray Bradbury
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und Mr. Fremley, die wie alter, vertrockneter Tabak rochen und aussahen, bis spät auf der Veranda. Sie wippten schwer atmend in ihren quietschenden Schaukelstühlen auf und ab, um einen Lufthauch zu erzielen.
    »Mr. Terle…? Wäre es nicht wirklich schön… wenn Sie eines Tages… eine Klimaanlage kaufen könnten…?«
    Mr. Terle blieb eine Weile mit geschlossenen Augen stehen.
    »Für so was hab ich kein Geld, Mister Smith.«
    Die beiden Gäste erröteten; sie hatten schon seit einundzwanzig Jahren keine Rechnung bezahlt.
    Später seufzte Mr. Fremley bekümmert: »Ach, warum geben wir nicht alle einfach auf, machen uns davon, ziehen in eine anständige Stadt und hören auf, in dieser Hitze zu braten und zu verschmachten.«
    »Wer würde wohl ein ausgestorbenes Hotel in einer gespenstischen Stadt kaufen?« fragte Mr. Terle ruhig. »Nein, nein, wir bleiben hier und warten, warten auf den großen Tag, den neunundzwanzigsten Januar.«
    Langsam hörten die drei Männer auf zu wippen.
    Der neunundzwanzigste Januar.
    Der einzige Tag im Jahr, an dem es richtig losging und regnete.
    »Da brauchen wir nicht mehr lange zu warten.« Mr. Smith hielt seine goldene Taschenuhr, die dem Sommermond glich, in der flachen Hand. »In zwei Stunden und neun Minuten haben wir den neunundzwanzigsten Januar. Aber ich sehe auf zehntausend Meilen keine einzige Wolke am Himmel.«
    »Seit ich auf die Welt kam, hat es an jedem neunundzwanzigsten Januar geregnet!« Mr. Terle unterbrach sich, verwundert über seine laute Stimme. »Und wenn es in diesem Jahr einen Tag später kommt, dann werde ich Gott dafür nicht am Rockzipfel ziehen.«
    Mr. Fremley schluckte mühsam und sah von Osten nach Westen über die Wüste zu den Hügeln hinüber. »Ich möchte wissen, ob es in dieser Gegend wohl jemals wieder einen Goldrausch geben wird.«
    »Nein, Gold wird’s hier nicht mehr geben«, sagte Mr. Smith. »Und mehr noch, ich wette – es gibt auch keinen Regen mehr. Weder morgen noch übermorgen noch am Tag danach. Für den ganzen Rest des Jahres keinen Regen.«
    Die drei alten Männer saßen da und starrten auf den großen sonnengelben Mond, der dort oben ein Loch in die Stille brannte. Nach einer Weile fingen sie verzweifelt wieder an, in ihren Stühlen zu schaukeln.
     
     
    Die ersten heißen Morgenwinde rollten die Kalenderblätter vor dem rissigen Farbanstrich der Hotelfassade wie eine getrocknete Schlangenhaut zusammen.
    Die drei Männer schoben ihre Hosenträger mit den Daumen auf ihre hageren, kleiderständerähnlichen Schultern und kamen barfuß herunter, um zu dem wahnsinnigen Himmel hinaufzuspähen.
    »Der neunundzwanzigste Januar…«
    »Und dort oben nicht ein Tropfen Gnade.«
    »Der Tag ist noch zu jung.«
    »Aber ich bin’s nicht mehr.« Mr. Fremley drehte sich um und ging weg.
    Er brauchte fünf Minuten, bis er seinen Weg hinauf durch das fiebertraumhafte Gewirr der Gänge in sein heißes, frisch gebackenes Bett zurückfand.
    Mittags schaute Mr. Terle herein.
    »Mr. Fremley…?«
    »Wir sind schon wie die gottverdammten Wüstenkakteen!« keuchte Mr. Fremley, und sein Gesicht sah aus, als ob es sich jeden Augenblick in glühenden Staub auflösen und auf den rohen Bretterboden hinabrieseln könnte. »Aber selbst der genügsamste Kaktus braucht wenigstens einen Schluck Wasser, wenn er ein weiteres Jahr in demselben Glutofen verbringen soll. Ich sage Ihnen, ich rühre mich nicht vom Fleck, ich bleibe hier liegen und sterbe, wenn ich nichts anderes höre als das Getrippel der Vögel auf dem Dach!«
    »Beten Sie und halten Sie den Regenschirm bereit«, sagte Mr. Terle und schlich auf den Zehenspitzen hinaus.
    Gegen Abend hörte man auf dem hohlen Dach ein leises Tröpfeln.
    Mr. Fremleys Stimme ertönte klagend von seinem Bett her.
    »Mr. Terle, das ist kein Regen! Das sind Sie mit dem Gartenschlauch. Sie spritzen Brunnenwasser auf das Dach! Danke für die Mühe, aber nun hören Sie schon damit auf!«
    Das Tröpfeln brach ab. Unten im Hof seufzte jemand.
    Als Mr. Terle einen Augenblick später um die Hausecke kam, sah er, wie der Kalender in den Staub flog.
    »Zum Teufel mit dem neunundzwanzigsten Januar!« schrie eine Stimme. »Wieder zwölf Monate! Jetzt müssen wir noch zwölf Monate lang warten!«
    Mr. Smith stand an der Tür. Er ging hinein, holte zwei abgenützte Koffer heraus und knallte sie auf die Veranda.
    »Mr. Smith!« rief Mr. Terle. »Sie können doch nach dreißig Jahren nicht so einfach fort!«
    »Man sagt, in Irland regnet es
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