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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie
Autoren: Ray Bradbury
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währenddessen tickt in ihnen etwas, so wie es im Lachs oder in den Walen tickt und sogar in der kleinsten Mikrobe. Und diese kleine Uhr, die in allen Lebewesen tickt, wißt ihr, was sie sagt? Sie sagt, geht, breitet euch aus, zieht, schwimmt weiter. Fliegt in soviele Welten und baut soviele Städte, daß nichts den Menschen vernichten kann. Verstehst du jetzt, Carrie? Nicht nur wir kommen zum Mars, sondern das ganze Menschengeschlecht, die ganze Menschheit, und alles hängt davon ab, wie weit wir es im Leben bringen. Das ist etwas so Großartiges, daß ich am liebsten lachen möchte, weil ich mich so sehr davor fürchte.«
    Er spürte, daß die Kinder hinter ihm hergingen, und er spürte Carrie neben sich und wollte ihr Gesicht sehen, um zu wissen, wie sie es aufnahm, aber er blickte sie dennoch nicht an.
    »All das ist nicht anders, als wenn Papa und ich früher, als ich noch ein Kind war, über die Felder gingen und mit der Hand die Samen streuten, so oft unsere Sämaschine kaputt war und wir kein Geld hatten, um sie reparieren zu lassen. Es mußte ja irgendwie getan werden – für die Ernte. Carrie, du erinnerst dich doch sicher noch an die Artikel in den Sonntagsbeilagen der Zeitungen: ›I N M ILLIONEN J AHREN WIRD DIE E RDE ERFRIEREN !‹ Als Junge fing ich einmal, als ich einen solchen Artikel las, zu brüllen an. Meine Mutter fragte mich, warum. Da erklärte ich ihr, ich heulte um alle jene armen Menschen in der Zukunft. Mach dir keine Sorgen um die, sagte meine Mutter. Aber Carrie, das ist es ja, worauf ich hinauswill: Wir machen uns Sorgen um sie. Sonst wären wir nicht hier. Es ist wichtig, daß der Mensch fortbesteht. Ich bin natürlich voreingenommen, weil ich selbst zur Menschheit gehöre. Aber wenn es einen Weg gibt, die Unsterblichkeit zu erlangen, von der die Menschen immer reden, dann ist es dieser – sich verbreiten, die Saat im Universum aussäen. Auf diese Weise bringt sie überall Früchte hervor, trotz Fehlernten und gleichgültig, ob auf der Erde Hungersnot herrscht oder ob sie vom Rost befallen wird. Es bleibt der neue Weizen, der auf der Venus aufgeht oder wo immer der Mensch in den nächsten tausend Jahren hinkommt. Ich bin besessen von dieser Idee, Carrie. Als ich endlich darauf kam, wurde ich so aufgeregt, daß ich die Leute, dich, die Jungens hätte packen und es euch hätte sagen mögen. Aber ich wußte, daß es nicht nötig war. Ich wußte, daß ein Tag oder eine Nacht kommen würde, da ihr dieses Ticken auch in euch vernehmen würdet, und dann erst würdet ihr verstehen, und dann brauchte euch niemand mehr etwas zu erklären. Es sind große Worte, Carrie, ich weiß, und große Gedanken für einen Mann von nur einssechzig, aber es ist wahr, bei allem, was heilig ist.«
    Sie gingen durch die verlassenen Straßen der Stadt und lauschten dem Echo ihrer Schritte.
    »Und heute morgen?« fragte Carrie.
    »Darauf komme ich jetzt zu sprechen«, sagte er. »Auch ein Teil von mir möchte wieder nach Hause. Aber der andere Teil sagt, wenn wir das tun, ist alles verloren. Darum dachte ich: Was fehlt uns am meisten? Manche Sachen, die wir einst besaßen, die Jungen, du und ich. Und ich dachte, wenn man ein altes Ding braucht, um ein neues zustande zu bringen, bei Gott, dann werde ich das alte Ding eben dazu verwenden. Ich weiß noch aus Geschichtsbüchern, daß die Menschen vor tausend Jahren Holzkohle in ein ausgehöhltes Kuhhorn taten, sie tagsüber anbliesen und auf den Wanderungen von Ort zu Ort mitnahmen, so daß sie jeden Abend mit den Funken, die vom Morgen übriggeblieben waren, ein Feuer machen konnten. Immer ein neues Feuer, aber immer ein Rest vom alten drin. So wog ich eins gegen das andere ab. Ist das Alte all unser Geld wert? fragte ich mich. Nein! Nur das, was wir mit dem Alten vollbringen, das hat Wert. Ist das Neue all unser Geld wert? Würdest du dein Geld in die Dinge von übermorgen investieren? Ja! sagte ich. Wenn ich das, was in uns den Wunsch auslöst, zur Erde zurückzukehren, dadurch bekämpfen könnte, würde ich mein Geld in Petroleum tauchen und ein Streichholz daran halten!«
    Carrie und die beiden Jungens standen auf der Straße und sahen ihn an, als sei er ein Sturm, der über sie hinweggegangen war und sie fast vom Boden fortgeweht hätte, ein Sturm, der jetzt nachließ.
    »Das Frachtraumschiff ist heute morgen angekommen«, sagte er ruhig. »Es bringt unsere Sachen mit. Kommt, wir wollen sie abholen.«
    Sie stiegen langsam die drei Stufen zum Raumschiffdepot
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