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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie
Autoren: Ray Bradbury
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haben, nur damit du es in ein paar Stunden verpulverst?«
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich bin ein Idiot. Schau, bald kommt der Morgen. Wir wollen früh aufstehen. Ich gehe mit dir hinunter, damit du siehst, was ich angerichtet habe. Ich will es dir nicht sagen, du mußt es selbst sehen. Und wenn das nichts ist, nun, dann bleiben immer noch diese Koffer da und das Raumschiff, das viermal die Woche zur Erde fliegt.«
    Sie rührte sich nicht. »Bob, Bob«, murmelte sie.
    »Sag nichts weiter«, bat er.
    »Bob, Bob.« Sie schüttelte langsam, ungläubig den Kopf. Er wandte sich ab und legte sich wieder hin; sie saß noch eine Weile auf der anderen Seite des Bettes und blickte zur Kommode hinüber, in der ihre Taschentücher, ihr Schmuck und ihre Kleider säuberlich aufgeschichtet lagen. Draußen wirbelte ein mondscheinfarbener Wind den schlafenden Staub in die Luft.
    Endlich legte sie sich hin, aber sie sagte nichts mehr; sie war wie ein kaltes Gewicht im Bett und starrte durch den langen Tunnel der Nacht auf das schwache Anzeichen des Morgens.
     
     
    Sie standen beim ersten Morgenschimmer auf und bewegten sich geräuschlos in der kleinen Hütte. Es war eine Pantomine, die sich solange fortsetzte, bis man beinahe gegen die Stille hätte anschreien mögen; Eltern und Kinder wuschen sich, zogen sich an und nahmen schweigend ihr Frühstück zu sich, Toast, Fruchtsaft und Kaffee, wobei keiner die anderen ansah, sondern sie in der glatten, spiegelnden Fläche des Brotrösters, der Gläser oder der Bestecke beobachtete, die ihre Gesichter verzerrten, so daß sie in dieser frühen Stunde furchtbar fremd erschienen. Schließlich öffneten sie die Hüttentür und ließen die Luft herein, die über die kalten blauweißen Marsmeere wehte, in denen die Sandfluten zerrannen, weiterwanderten und gespenstische Muster zurückließen. Sie traten hinaus unter einen kalt herabstarrenden Himmel und gingen auf die Stadt zu, die in der Ferne vor ihnen lag wie eine Filmkulisse auf einer riesigen, leeren Bühne.
    »In welchen Stadtteil gehen wir?« fragte Carrie.
    »Ins Raumschiffdepot«, sagte er. »Aber bevor wir dort sind, muß ich dir noch vieles erklären.«
    Die Jungen verlangsamten den Schritt, gingen hinter den Eltern her und lauschten. Der Vater starrte geradeaus, und während er sprach, blickte er weder seine Frau noch seine Söhne an, um festzustellen, wie sie seine Worte aufnahmen.
    »Ich glaube an den Mars«, begann er. »Ich glaube, daß er uns eines Tages gehören wird. Wir halten ihn fest. Wir siedeln uns hier an, wir kneifen nicht und laufen nicht fort. Eines Tages, vor einem Jahr, gleich nach unserer Ankunft wurde es mir klar. Warum sind wir hergekommen? fragte ich mich. Darum, antwortete ich. Mit den Lachsen ist es jedes Jahr ganz ähnlich. Sie wissen nicht, warum sie dorthin ziehen, wo sie hinziehen, aber sie tun es trotzdem. Bäche und Flüsse hinauf, an die sie sich gar nicht erinnern; sie überspringen Wasserfälle, und endlich erreichen sie die Stelle, wo sie laichen und sterben, und dann fängt wieder alles von vorne an. Nennt es eine angeborene Erinnerung der Spezies, nennt es Instinkt oder laßt es unbenannt – es ist einfach da. Und hier sind wir.«
    Sie gingen in den stillen Morgen hinein, und der weite Himmel beobachtete sie, und der seltsame Sand wogte weiß wie Dampf auf der neuen Hauptstraße um ihre Füße.
    »Hier sind wir also. Und wohin geht es vom Mars aus? Zum Jupiter, zum Neptun, zum Pluto und dann weiter? Genauso ist es. Immer weiter. Warum? Eines Tages explodiert die Sonne wie ein undichter Schmelzofen. Bumm – fort ist die Erde. Aber der Mars bleibt vielleicht verschont; und wenn nicht, dann bleibt vielleicht der Pluto unversehrt; und wenn nicht, wo werden wir dann sein, das heißt, die Söhne unserer Söhne?«
    »Nun, wir sind dann vielleicht auf irgendeiner Welt mit einer Nummer; Planet sechs des siebenundneunzigsten Sternsystems, Planet zwei des neunundneunzigsten Sternsystems. So weit fort von hier, daß man es nur in einem Alptraum fassen kann! Dann sind wir fort, hört ihr, weit fort und in Sicherheit! Darum sind wir auf den Mars gekommen, darum schießen die Menschen ihre Raketen in den Weltraum.«
    »Bob…«
    »Laß mich ausreden; nicht, um Geld zu verdienen, nein. Auch nicht, um die Aussicht zu genießen. Das sind Lügen, die die Menschen einander erzählen, Gründe, die sie sich ausdenken. Werde reich und berühmt, sagen sie. Amüsier dich, fahr in der Welt herum, sagen sie. Aber
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