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Medizin für Melancholie

Medizin für Melancholie

Titel: Medizin für Melancholie
Autoren: Ray Bradbury
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hinauf und schritten durch den hallenden Flur zum Frachtraum, dessen Türen gerade für den Tag geöffnet wurden.
    »Erzähl uns noch mal von den Lachsen«, bat einer der Jungen.
     
     
    Später fuhren sie in einem gemieteten Lastwagen aus der Stadt hinaus, der mit Kisten, Paketen und Päckchen beladen war, langen, hohen, kurzen, flachen, alle numeriert und sorgfältig adressiert an Robert Prentiss, New Toledo, Mars.
    Sie hielten vor ihrer Hütte; die Jungen sprangen ab und halfen der Mutter heraus. Bob blieb noch einen Augenblick hinter dem Steuerrad sitzen, dann stieg er langsam aus, ging herum und betrachtete die Kisten hinten im Wagen.
    Bis Mittag waren alle Kisten bis auf eine geöffnet, und die Sachen lagen auf dem Sand, wo die Familie um sie herumstand.
    »Carrie…«
    Er führte sie die alten Verandatreppen hinauf, die sie aus einer Kiste hervorgeholt hatten. »Horch, Carrie.«
    Die Stufen quietschten und flüsterten unter ihren Tritten.
    »Was sagen sie, Carrie, was sagen sie?«
    Sie stand auf den alten Holzstufen und wußte keine Antwort.
    Er winkte mit der Hand. »Hier die Veranda, hier das Wohnzimmer, das Eßzimmer, die Küche und drei Schlafzimmer. Einen Teil bauen wir neu, einen Teil bringen wir herüber. Vorläufig haben wir freilich nur die Veranda, ein paar Wohnzimmermöbel und das alte Bett.«
    »All das Geld, Bob!«
    Er drehte sich lächelnd um. »Du bist mir nicht böse, sieh mich nur an! Du bist mir nicht böse. In den nächsten fünf Jahren bringen wir alles herauf! Die Vasen aus geschliffenem Glas, den armenischen Teppich, den deine Mutter uns 1961 geschenkt hat! Und dann kann die Sonne ruhig explodieren!«
    Sie betrachteten die anderen numerierten und beschrifteten Kisten: Hollywoodschaukel, Schaukelstuhl, chinesische Kristallgehänge…
    »Ich werde sie selbst anhauchen, damit sie klingen!«
    Sie stellten die Haustür mit ihren kleinen farbigen Glasscheiben oben auf die Treppe, und Carrie blickte durch das Erdbeerfenster.
    »Was siehst du?«
    Aber er wußte, was sie sah, denn er blickte ebenfalls durch das farbige Glas. Und da war der Mars, und sein kalter Himmel wirkte jetzt wärmer, seine toten Meere waren voll glühender Farbe, seine Hügel wie ein Haufen Erdbeereis, und sein Sand trieb im Wind wie brennende Holzkohle. Das Erdbeerfenster hauchte sanfte rosa Farben über das Land und erfüllte Augen und Seele mit dem Licht einer endlosen Morgendämmerung. Während er sich vorbeugte und hindurchsah, hörte er sich sagen:
    »Die Stadt wird in diesem Jahr noch bis hier hinaus wachsen. Dies wird eine schattige Straße werden, du bekommst deine Veranda und wirst Bekannte haben. Dann brauchst du dies alles nicht mehr so sehr. Aber wir fangen hier mit diesen kleinen vertrauten Dingen an, und paß auf, wie es dann weitergeht, du wirst sehen, wie der Mars sich verändert, bis du ihn kennst, als hättest du ihn schon das ganze Leben lang gekannt.«
    Er lief die Straße hinunter zu der letzten, noch ungeöffneten Kiste und schnitt mit dem Taschenmesser ein Loch in das Segeltuch, das sie bedeckte. »Rate mal!« sagte er.
    »Mein Küchenherd? Mein Ofen?«
    »Weit entfernt.« Er lächelte zärtlich. »Sing ein Lied«, sagte er.
    »Bob, du bist ja von Sinnen.«
    »Sing ein Lied, das soviel wert ist wie all das Geld, das wir auf der Bank hatten und jetzt nicht mehr haben und auf das wir pfeifen«, sagte er.
    »Ich kenne nichts als ›Genevieve, sweet Genevieve!‹«
    »Sing das«, sagte er.
    Aber sie bekam den Mund nicht auf. Er sah, wie ihre Lippen sich bewegten, doch es kam kein Ton hervor.
    Er riß das Segeltuch weiter auf, steckte die Hand in die Kiste und wartete auf einen Augenblick der Stille; dann sang er die Worte selbst, und als er die Hand bewegte, stieg ein einziger Klavierton in die Morgenluft auf.
    »Da«, sagte er. »Und jetzt wollen wir es ganz bis zu Ende singen. Alle zusammen! Das ist die Harmonie!«

 
Der Tag, an dem der große Regen kam
     
     
     
    Das Hotel stand wie ein ausgehöhlter, trockener Knochen mitten unter dem Wüstenhimmel, und die Sonne brannte den ganzen Tag lang auf das Dach. Nachts regte sich die Erinnerung an die Sonne in jedem Raum wie das Gespenst eines alten Waldbrandes. Da Licht Hitze bedeutete, wurden die Lampen im Hotel nicht angeschaltet. Die Gäste tasteten sich noch lange nach Einbruch der Dunkelheit auf der ewigen Suche nach kühler Luft blind durch die Gänge.
    An diesem Abend blieben Mr. Terle, der Hotelbesitzer, und seine einzigen Kostgänger, Mr. Smith
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