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Meade Glenn

Meade Glenn

Titel: Meade Glenn
Autoren: Unternehmen Brandenburg
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so sehr. «
    Sie drückte ihn eng an sich. » Haben die Männer dir auch weh getan, Mama? « fragte der Junge an ihrer Brust.
    Sie sah ihm ins Gesicht, wandte den Blick ab und umschlang ihn noch fester. Er wußte, daß sie noch immer weinte, und hörte den Schmerz in ihrer Stimme.
    » Ja, Joseph. Mir haben sie auch weh getan. «
    Der Junge löste sich etwas aus der Umarmung, schaute seine Mutter an und berührte ihr Gesicht.
    » Die Männer, die dir und Papa weh getan haben, werden euch nie mehr weh tun. Dafür werde ich sorgen, Mama. «
    Josephs Mutter wischte sich die Tränen ab und lächelte. Dann klang ihre Stimme so wie immer, wenn sein Papa traurig war –
    so als könnte sie mit Lächeln und Fröhlichkeit das Schreckliche vertreiben, das ihr und seinem Vater zugefügt worden war.
    » Natürlich wirst du das, mein Schatz. «
    Sie strich ihm das Haar aus der Stirn, küßte ihn und wischte sich erneut die Tränen aus den Augen, dann stand sie auf.
    » Jetzt komm, Joseph. Kümmern wir uns um Papa. «
    Der kleine Junge reichte seiner Mutter die Hand. Sie packte sie, hielt sie fest und ließ sich von ihm zum Strandhaus hinaufführen.
    ERSTER TEIL
    1. KAPITEL
    Asunción, Hauptstadt von Paraguay.
    Als in der Privatklinik San Ignatio die Ärzte Nikolas Tscharkin mitteilten, wann er sterben müsse, nickte der alte Mann verdrossen, wartete, bis die Mediziner verschwunden waren, zog sich schweigend an und fuhr mit seinem Mercedes zur Ecke der drei Blocks entfernten Calle Palma.
    Dort stellte er den Wagen ab und ging den letzten Häuserblock zu der kleinen Bank zu Fuß, betrat sie durch die Drehtür und erklärte dem Direktor, daß er den Inhalt seines Banksafes zu sehen wünsche.
    Der Direktor befahl sofort einem höheren Angestellten, mit dem alten Mann ins Tresorgewölbe hinabzusteigen. Schließlich war Señor Tscharkin ein hochgeschätzter Kunde.
    »Sagen Sie ihm, er kann dann gehen. Ich will ungestört sein«, befahl Tascharkin in seiner gewohnt barschen Art.
    »Gewiß, Señor Tscharkin. Danke, Señor Tscharkin.« Der Direktor verbeugte sich noch einmal höflich. » Buenos dias, Señor Tscharkin.«
    Der Direktor in seinem blauen Anzug ging Tscharkin auf die Nerven, wie üblich. Aber heute morgen störte ihn das Schleimen und Katzbuckeln und das schmeichelnde, goldkronenfunkelnde Grinsen des Mannes besonders. Buenos dias – einen schönen Tag noch. Pah! Was sollte an diesem Tag denn schön sein?
    Man hatte ihm gerade mitgeteilt, daß er noch höchstens achtundvierzig Stunden zu leben hatte. Der Schmerz in seinem Bauch brannte wie Feuer und war fast unerträglich. Tscharkin fühlte sich schwach, schrecklich schwach, trotz der Tabletten, mit denen er die Pein lindern sollte. Was hatte der Kerl noch zu grinsen? Und was sollte an diesem verdammten Morgen gut sein?
    Es war der letzte Morgen seines Lebens, denn er wußte, was er jetzt zu tun hatte.
    Dennoch verspürte Tscharkin ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung: Das Lügen hatte jetzt bald ein Ende.
    Er betrachtete sein Spiegelbild in den kalten Edelstahlwänden, während der Angestellte ihn in die kühlen Gewölbe der Bank führte. Tscharkin war zweiundachtzig, und bis vor sechs Monaten hatte er zehn Jahre jünger ausgesehen. Damals war er jedoch noch gesund gewesen, hatte sich vernünftig ernährt, nicht geraucht und nur selten getrunken. Alle sagten, er würde sicher noch die Hundert vollmachen.
    Und alle hatten sich wohl geirrt.
    Sein Spiegelbild zeigte ihn so, wie er war: dünn und ausgemergelt. Er sah schon jetzt aus wie ein Leichnam, und seine Magenblutung war so schlimm, daß er glaubte fühlen zu können, wie der Lebenssaft aus ihm hinausrann. Aber er hatte noch etwas Wichtiges zu erledigen, ganz gleich, wie stark der Schmerz war, und egal, was die Ärzte ihm sagten. Sobald er das hinter sich hatte, konnte er endlich abtreten. Und für immer friedlich schlafen.
    Es sei denn, es gäbe einen Gott und ein Leben nach dem Tode.
    In dem Fall würde er für seine Sünden büßen müssen. Aber das bezweifelte Tscharkin. Kein gerechter Gott hätte ihm ein so langes und erfülltes Leben gewährt, nach allem, was er getan hatte. Nein, man starb, und damit hatte es sich, der Körper zerfiel zu Staub, und man war für immer ausgelöscht … Es gab keine Schmerzen, keinen Himmel und keine Hölle. Einfach nur das Nichts.
    Konnte er jedenfalls nur hoffen.
    Der Angestellte schloß das Metallgitter auf und führte ihn in die unterirdische Kammer, einen kleinen, stillen
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