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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian
Autoren: Abbitte
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Wasser gab es in der Küche. Doch Betty bereitete das Abendessen vor, und sie war schrecklich schlecht gelaunt. Jackson oder Pierrot, einer der kleinen Jungen jedenfalls, verkroch sich vor lauter Angst, und die Aushilfe aus dem Dorf hätte es ihm am liebsten gleichgetan. Selbst im Salon konnte man gelegentlich ein gedämpftes Schimpfen oder das Scheppern einer Pfanne hören, die ungewöhnlich heftig auf die Herdplatte gesetzt wurde. Wenn Cecilia jetzt in die Küche ging, würde sie zwischen den vagen Instruktionen ihrer Mutter und der energisch hantierenden Betty vermitteln müssen. Da war es doch vernünftiger, sie ging nach draußen und füllte die Vase am Brunnen.
    Irgendwann vor Cecilias zwanzigstem Geburtstag hatte ein Freund ihres Vaters, ein Mitarbeiter des Victoria and Albert Museums, jene Vase untersucht und für echt erklärt. Sie war tatsächlich aus Meißner Porzellan und das Werk des großen Künstlers Höroldt, der sie 1726 bemalt hatte. Höchstwahrscheinlich hatte sie einst König August dem Starken gehört. Die Schätzung ergab, daß sie wertvoller war als alle übrigen Stücke im Haus – zumeist von Cecilias Großvater gesammelter Trödel –, doch wollte Jack Tallis, daß die Vase in Erinnerung an seinen Bruder ganz normal benutzt wurde. Sie sollte nicht in irgendeiner Glasvitrine eingesperrt sein. Wenn sie den Krieg überstanden hatte, würde sie auch die Familie Tallis überdauern. Seine Frau hatte nichts dagegen einzuwenden, denn wenn die Vase auch noch so wertvoll war und noch so viele Erinnerungen daran hingen, gefiel sie Emily Tallis eigentlich nicht. Die kleinen gemalten Chinesen, die sittsam im Garten um einen Tisch versammelt waren, die Zierpflanzen und phantastischen Vögel fand sie kitschig und deprimierend, wie sie überhaupt alle Chinoiserie langweilte. Cecilia hatte dazu keine bestimmte Meinung, nur fragte sie sich manchmal, was eine Versteigerung der Vase bei Sotheby’s wohl einbringen würde. In der Familie hielt man die Vase aber nicht deswegen in Ehren, weil Höroldt so meisterlich mit polychromer Glasur umzugehen, verschlungenes Blätterwerk zu zeichnen oder blaugoldene Bandverzierungen aufzutragen gewußt hatte, sondern wegen Onkel Clem, der Leben gerettet und nachts einen Fluß durchquert hatte und kaum eine Woche vor dem Waffenstillstand gefallen war. Blumen, vor allem aber Wildblumen, schienen da ein angemessener Tribut zu sein.
Cecilia hielt das kühle Porzellan in beiden Händen, verlagerte ihr Gewicht auf einen Fuß, um mit dem anderen die Terrassentür weit aufzuschieben, und trat hinaus in die blendende Helligkeit. Wie eine freundliche Umarmung hüllte die von den Steinen aufsteigende Wärme sie ein. Zwei Schwalben schwirrten über dem Brunnen; im trägen Dunkel einer riesigen Libanonzeder durchschnitt der Gesang eines Zilp-zalps die Luft. Die Blumen bogen sich in der leichten Brise und kitzelten Cecilias Gesicht, als sie vorsichtig die drei zerborstenen Stufen zum Kiesweg hinunterbalancierte.
Als Robbie sie kommen hörte, drehte er sich überrascht um. »Ich war in Gedanken«, erklärte er.
»Würdest du mir eine deiner bolschewistischen Zigaretten drehen?«
Er warf seine eigene Zigarette fort, griff nach der Blechdose, die auf seiner Jacke auf dem Rasen lag, und folgte Cecilia in Richtung Brunnen. Eine Weile schwiegen sie. »Schöner Tag«, sagte sie mit einem Seufzer. Er betrachtete sie mit amüsiertem Mißtrauen. Irgendwas war zwischen ihnen, und selbst Cecilia mußte zugeben, daß ihre unverfängliche Bemerkung über das Wetter ziemlich abwegig klang.
»Und wie ist Clarissa?« Er schaute seinen Fingern zu, die den Tabak rollten.
»Langweilig.«
»So was sagt man doch nicht.«
»Wenn sie bloß endlich einen Zahn zulegen würde.« »Tut sie schon noch. Und dann wird’s besser.«
Sie gingen langsamer und blieben schließlich stehen, wäh rend er die Selbstgedrehte fertig rollte.
Sie sagte: »Fielding würde ich allemal lieber lesen«, und ahnte gleich, daß sie etwas Dummes geäußert hatte. Robbie ließ seinen Blick über den Park und die Kühe zu dem Eichenhain im Flußtal schweifen, durch den sie am Morgen gelaufen war. Bestimmt vermutete er hinter ihren Worten irgendeine verschlüsselte Bedeutung und glaubte, sie wolle ihm ihre Vorliebe fürs Sinnliche und Vollblütige zu verstehen geben, was natürlich völliger Unsinn war. Irritiert fragte sie sich, wie sie ihm diesen Gedanken wieder ausreden könnte. Seine Augen gefielen ihr, dieses unvermengte Nebeneinander
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