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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian
Autoren: Abbitte
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komfortabel daheim herumzulungern glich einer lustvollen Selbstbestrafung, zumindest aber blieb ihr noch die Hoffnung auf ein wenig Abwechslung; ginge sie jedoch fort, könnte etwas Schreckliches geschehen oder, schlimmer noch, etwas Schönes, etwas, das sie keinesfalls verpassen durfte. Und dann war da noch Robbie, der sie verrückt machte, indem er sie auf Abstand hielt und seine großartigen Pläne ausschließlich mit ihrem Vater besprechen wollte. Sie kannten sich, seit sie sieben waren, sie und Robbie, und es irritierte Cecilia, wie verkrampft sie neuerdings miteinander redeten. Natürlich war das vor allem seine Schuld – ob es ihm zu Kopf gestiegen war, daß er seinen Abschluß mit Auszeichnung bestanden hatte? –, trotzdem wußte sie, daß sie ihr Verhältnis zu Robbie ins reine bringen mußte, bevor sie an eine Abreise denken konnte.
Durch die offene Tür drang der schwache Ledergeruch von Kuhmist, der außer an den kältesten Tagen immer in der Luft hing und nur von jenen wahrgenommen wurde, die länger fort gewesen waren. Robbie hatte die Hacke beiseite gelegt, um aufzustehen und sich eine Zigarette zu drehen, eine Marotte aus seiner Zeit als Kommunist – eine Phase übrigens, die, wie sein Faible für Anthropologie und die geplante Wanderung von Calais nach Istanbul, bald wieder in Vergessenheit geraten war. Ihre eigenen Zigaretten waren oben im zweiten Stock in einer von vielen Taschen.
Sie trat ins Zimmer und stopfte die Blumen in die Vase, die früher Onkel Clem gehört hatte. An seine Beerdigung - vielmehr an die zweite Bestattung gegen Ende des Krieges – konnte sie sich noch gut erinnern: die Lafette, die auf den ländlichen Friedhof fuhr, der Sarg unter der Regimentsflagge, die zum Salut erhobenen Degen, der Fanfarenstoß am Grab und – beeindruckender als alles andere für eine Fünfjährige – der weinende Vater. Außer Clem hatte er keine Geschwister gehabt. In einem der letzten Briefe, die der junge Leutnant nach Hause geschrieben hatte, stand die Geschichte, wie er in den Besitz der Vase gekommen war. Man hatte ihn dem Französischen Sektor als Verbindungsoffizier zugeteilt. Kurz bevor die ersten Bomben fielen, veranlaßte er in letzter Sekunde die Evakuierung einer kleinen Stadt westlich von Verdun. Etwa fünfzig Frauen, Kinder und alte Menschen konnten so gerettet werden. Später führten der Bürgermeister und andere Honoratioren Onkel Clem zur Museumsruine. Zum Dank überreichte man ihm die Vase aus einer zerstörten Vitrine. Er konnte sie unmöglich ablehnen, auch wenn es noch so unangenehm sein würde, mit Meißner Porzellan unterm Arm Krieg zu führen. Einen Monat später wurde die Vase dann sicherheitshalber in einem Bauernhaus zurückgelassen, doch Leutnant Tallis holte sie sich wieder, durchquerte bei Hochwasser einen Fluß und kehrte um Mitternacht auf demselben Weg zu seiner Truppe zurück. Als er während der letzten Kriegstage Wache schieben mußte, gab er die Vase in die Obhut eines Freundes. Später gelangte sie dann auf Umwegen zum Regimentshauptquartier und wurde einige Monate nach Onkel Clems Beerdigung bei der Familie Tallis abgegeben.
    Es war völlig sinnlos, Wildblumen arrangieren zu wollen. Sie ordneten sich von selbst, und es würde die Wirkung verderben, wenn man die Schwertlilien und Purpurweiden zu gleichmäßig verteilte. Minutenlang brachte Cecilia hier und da kleine Korrekturen an, damit der Strauß einen möglichst natürlichen Anblick bot, und fragte sich dabei, ob sie nun zu Robbie hinausgehen sollte. Dann müßte sie nicht extra nach oben laufen. Aber irgendwie war ihr nicht wohl in ihrer Haut, außerdem war sie verschwitzt und hätte gern ihr Äußeres in dem großen vergoldeten Spiegel über dem Kamin geprüft. Wenn Robbie sich aber umdrehte – er stand mit dem Rücken zum Haus und rauchte –, würde er direkt ins Zimmer blicken. Endlich hatte sie ihr Werk vollendet und trat einen Schritt zurück. Paul Marshall, der Freund ihres Bruders, würde jetzt bestimmt glauben, daß man die Blumen mit der gleichen Unbekümmertheit, mit der sie gepflückt worden waren, auch in die Vase gestellt hatte. Sie wußte, es brachte nichts, Blumen zu ordnen, wenn noch kein Wasser in der Vase war, aber was machte das schon? Sie konnte einfach nicht anders, und nicht alles, was Menschen taten, war logisch und korrekt, vor allem dann nicht, wenn sie allein waren. Ihre Mutter hatte sich Blumen im Gästezimmer gewünscht, und Cecilia tat ihr nur zu gern diesen Gefallen.
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