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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian
Autoren: Abbitte
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die als Kuhweide an einen Bauern aus dem Dorf verkauft worden war – gelangte sie zum Tritonbrunnen, einer verkleinerten Ausgabe von Berninis Brunnen auf der Piazza Barberini in Rom. Der muskulöse Meeresgott, der da so gelassen auf seiner Muschelschale hockte, vermochte allerdings – so schwach war der Wasserdruck – bloß einen knapp zehn Zentimeter hohen Strahl durch sein Schneckenhorn zu blasen, weshalb ihm das Wasser auf den Kopf plätscherte und durch die Steinlocken und die Furche des mächtigen Rückgrats rann, um dort einen schimmernden dunkelgrünen Fleck zu hinterlassen. In diesem fremden nordischen Klima war der Triton weit fort von heimatlichen Gefilden, doch bot er einen schönen Anblick in der Morgensonne, genau wie die vier Delphine, die jene Muschel mit gewelltem Rand trugen, auf der er saß. Sie betrachtete die Schuppen, die auf den Delphinen und den Schenkeln des Meergottes eigentlich nichts zu suchen hatten, und sah dann zum Haus hinüber. Am schnellsten käme sie über den Rasen und durch die Terrassentür in den Salon zurück, aber ihr Spielgefährte aus Kindertagen und einstiger Studienfreund Robbie Turner lag vor der Rosenhecke auf den Knien, um Unkraut zu jäten, und sie hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. Jetzt jedenfalls noch nicht. Seit der Universität hatte er sich aufs Gärtnern verlegt, doch war neuerdings auch die Rede von einem Medizinstudium, was ihr nach einem Abschluß in Literatur etwas hochgegriffen schien, aber auch ziemlich anmaßend, da ihr Vater schließlich dafür bezahlen mußte.
Sie wässerte kurz die Blumen, tauchte sie noch einmal ins tiefe, kalte Wasser des – originalgroßen – Brunnenbeckens und machte einen Bogen um Robbie, indem sie rasch zum Haupteingang eilte – eine Gelegenheit, dachte sie, um noch einige Augenblicke länger im Freien bleiben zu können.
Keine Morgensonne und auch sonst kein Licht konnten darüber hinwegtäuschen, wie häßlich der Landsitz der Familie Tallis war: Gerade mal vierzig Jahre alt, klotzig, mit hellroten Ziegelsteinmauern, durchbrochen von wuchtigen, neogotischen Bleiglasfenstern, sollte er eines Tages in einem Artikel von Pevsner höchstpersönlich (vielleicht aber auch von einem seiner Mitarbeiter) als eine »Tragödie vertaner Gelegenheiten« und von einem jüngeren Anhänger der modernen Schule als »schrecklich geschmacklos« bezeichnet werden. Noch um 1880 hatte an seiner Stelle ein Haus im Stil der Gebrüder Adam gestanden, das einem Brand zum Opfer gefallen war. Geblieben waren nur ein künstlich angelegter See mit einer Insel, über die mittels zweier steinerner Brücken die Zufahrt führte, sowie am Ufer ein verfallener stuckverzierter Tempel. Cecilias Großvater, aufgewachsen über einem Eisenwarenladen, hatte mit einer Reihe von Patenten für Vorhängeschlösser, Riegel, Schnappschlösser und Schließbänder den Grundstock fürs Familienvermögen gelegt und dem neuen Haus seine Vorliebe für alles Solide, Sichere und Praktische vermacht. Kehrte man aber dem Eingang den Rücken zu, sah die Auffahrt hinunter und ignorierte die Holsteiner Kühe, die schon jetzt den Schatten der wenigen Bäume suchten, war die Aussicht gar nicht so übel, vermittelte sie doch nach wie vor einen Eindruck von zeitloser, ereignisloser Ruhe, was Cecilia erst recht darin bestätigte, daß sie möglichst bald wieder von hier fortmußte.
Sie ging ins Haus, eilte durch die schwarzweiß geflieste Eingangshalle – das Echo der Schritte so vertraut, so unangenehm laut – und blieb vor der Tür zum Salon stehen, um wieder zu Atem zu kommen, während kühle Tropfen von den Blumenstengeln auf ihre Füße fielen. Der Anblick der Purpurweidenzweige und wilden Schwertlilien hob ihre Stimmung. Die Vase, nach der sie suchte, stand auf einem amerikanischen Kirschholztisch gleich neben der spaltbreit geöffneten Terrassentür, die nach Südosten zeigte und morgendliches Sonnenlicht einließ, das in hellen Parallelogrammen über den taubenblauen Teppich wanderte. Cecilias Atem beruhigte sich, und ihr Verlangen nach einer Zigarette wuchs, doch zögerte sie noch und blieb einen Moment an der Tür stehen, wie gebannt von dem harmonischen Anblick, der sich ihr bot: die drei abgewetzten Chesterfields um den noch fast neuen Kamin im gotischen Stil, in dem ein winterliches Büschel Riedgras stand, das ungestimmte Cembalo, auf dem nie gespielt wurde, der ungenutzte Notenständer aus Rosenholz und die schweren, von einer blauorangefarbenen Kordel locker
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