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Max Perplex

Max Perplex

Titel: Max Perplex
Autoren: Hen Hermanns
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hinein. Dann lief ich ziellos im Zentrum rum. Die Stadt war vollgestopft mit Menschen und Autos. Die Architektur wechselte von putzig-romantisch zu rücksichtslos-klinkerhaft. Hertie, Aldi, Quelle, WOM, Benetton, der Stadt mangelte es an nichts. Jeder zweite knabberte an irgendwas. Bratwürste, Bockwürste, Gyros, Krapfen, in der Universitätsklinik mußten sie Sprengstoffexperten haben, um die ganzen verstopften Arterien freizulegen.
    Ich ging zurück zum Hotel, kämpfte den Frankenwein mit zwei Tassen Kaffee nieder und quälte mich dann mit dem Volvo durch das Verkehrsgewühl hoch zur Festung Marienberg. Ich ersparte mir das berühmte Tilman-Riemenschneider-Museum und spazierte nur mißmutig die Festungsmauern entlang. Es nieselte, und die Stadt lag im Dunst. Es gab fast mehr Kirchen als Wohnhäuser. In der Zeit der Hexenverfolgung mußte diese Stadt ihre Blüte erlebt haben. Ich konnte Würzburg nicht ausstehen. So einen spontanen Haß auf eine Stadt hatte ich vor ein paar Jahren schon mal gehabt. Auf dem Weg von Andalusien nach Madrid hatte ich einen Abstecher nach Toledo gemacht. Kaum war ich in der Stadt, bekam ich einen Wutanfall. Die Architektur machte mich krank. Enge Gassen und steile Häuser, die einen zwangen, nach oben zu starren, um noch einen Fetzen Himmel zu sehen. Eine Kathedrale, die einen mit ihren Steinmassen niederschmetterte. Ich hatte ein Déjà-vu-Gefühl, war voller Wut und Verachtung. In einem anderen Leben muß ich mal ein Ketzer gewesen sein. Die Frau, die mich damals begleitet hatte, hatte ich nicht gehaßt, ganz im Gegenteil. Aber mein Haß hatte ihr angst gemacht. Mein Haß auf die Stadt, auf Mittelmäßigkeit, auf schlechten Geschmack, auf alles, was mir nicht in den Kram paßte, und mir paßte damals so gut wie nichts. Ich konnte nichts sehen, ohne es zu beurteilen, es gab nichts, dem ich keine Noten gab. Inzwischen hatte ich mich ein bißchen besser im Griff. Aber auch nur dann, wenn es mir gutging, und jetzt ging es mir schlecht.

    Ich fuhr wieder runter in die Stadt und fand nach viel Fragerei die Uhlandstraße, in der Yvonne Zieglers WG war. Eine ruhige, bürgerliche Gegend. Hübsche Mehrfamilienhäuser mit Vorgärten, bewohnt von zänkischen alten Ehepaaren, Oberstudienräten, schwerhörigen Ex-SS-Mitgliedern, sterbenslangweiligen Kleinfamilien, Studenten, die von Bankkarrieren träumten, und der einen oder anderen heimlichen Nutte. Wie das eben so ist. Ich fuhr ein paarmal um den Block, sah nichts von Yvonne Ziegler und wollte auch nichts sehen. Im Moment hatte ich andere Sorgen.
    Ich fuhr wieder ins Zentrum und fand in der Nähe des Stadttheaters einen Parkplatz. Ich ging zur Theaterkasse und verlangte eine Karte für die Abendvorstellung im kleinen Haus.
    »Da haben Sie aber Glück«, sagte die Kassiererin, »das ist die letzte Karte.«
    »Hoffen wir lieber, daß das Stück nicht das letzte ist.«
    Sie sah mich gekränkt an, hängte ein Ausverkauft-Schild ans Fenster und ließ ein kleines Rollo runterrasseln, als wäre es ein Fallbeil.

    Zum Hotel waren es nur zehn Minuten zu Fuß, und ich ließ den Wagen stehen, wo er war. Ich ging in das trostlose Zimmer, warf meinen Mantel in eine Ecke und mich selbst aufs Bett. Ich würde mir das Stück ansehen, dann würde ich draußen auf Alwine warten und sie um ein Gespräch bitten. Schwetzer würde sich fügen müssen, oder ich würde ihn niederschlagen. Oder sollte ich ihn auf jeden Fall außer Gefecht setzen? Ich atmete tief durch und wurde vernünftig. Ich würde mir das Stück ansehen und dann in dieses >Semmelbrösel< gehen und den Würzburgern mal zeigen, was ein richtiger Nighthawk aus der Großstadt war.
    Bis zum Theaterbeginn waren es noch gut zwei Stunden. Ich beschloß, mir bis dahin den Magen vollzuschlagen. Was die Küche in der >Goldenen Gans< bot, gefiel mir. Es war herzhaft, es war reichlich, es war nicht untalentiert zubereitet, und ständig und auf Dauer genossen, würde es einen sicher umbringen. An einem Ecktisch saß ein altes Ehepaar, das sich aggressiv anschwieg und beigefarbenen Matsch auf dunkle Brotscheiben strich.
    »Ist aber ganz schön leer für Samstag abend«, sagte ich zu Signora Fellini, die mir die Karte brachte.
    »Ist fei noch früh, in zwei Stund werdens Augen mach«, versprach sie.
    »Was essen die Herrschaften dahinten denn?«
    »A ongmochten.«
    »Wie bitte?«
    »Einen angemachten Camenbert.«
    »Das möcht ich auch als Vorspeise. Und einen Bocksbeutel.«
    »Iphöfer?«
    »Genau.«
    Ich
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