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Max, mein Großvater und ich

Max, mein Großvater und ich

Titel: Max, mein Großvater und ich
Autoren: Audrey Couloumbis
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dem Schoß und dieser Jemand singt mir leise ins Ohr, und zwar– ich weiß, das klingt verrückt– das Lied von der kleinen Wanze, die auf der Mauer auf der Lauer liegt. Als ich dieses Lied das erste Mal hörte– nicht als Erinnerung, sondern in echt–, stellten sich auf meinen Armen die Härchen auf.
    Ich erzählte Ma, wie wichtig mir dieser Geruch vorkam. Und dass ich anfing, auf Raucher zu achten, bis ich schließlich rausfand, dass es der Geruch von Camel-Zigaretten gewesen war. Sie sah mich ganz komisch an und sagte: » Dein Dad hat nicht geraucht.«
    Obwohl die Werbung noch gar nicht vorbei war, drehte sie den Ton auf.
    Jetzt reden wir nicht mehr über meine Erinnerungen an Dad. Ich mag den Geruch von Camel-Zigaretten immer noch, obwohl ich weiß, dass es keine Erinnerung an meinen Dad ist. Ich atme jedes Mal tief ein, wenn wir an jemand vorbeikommen, den dieser Geruch umweht.
    Obwohl ich weiß, dass Zigarettenrauch ungesund ist.
    Wahrscheinlich spielte es keine Rolle, ob ich mich richtig erinnerte. Zigarettenrauch erinnerte mich nun mal an meinen Dad. Besser als nichts.
    An diesem Samstag ließen wir das Frühstücksgeschirr einfach in der Spüle stehen. Ma sagte, wir bräuchten fünf Minuten länger, um uns warm einzumummeln. Wir zogen lange Unterhosen an und wickelten uns Schals um den Hals, wie zwei Schneemänner. Trotzdem froren wir schon beim Runterfahren im Aufzug.
    » Ich glaube, draußen ist es ganz scheußlich«, meinte Ma, als überlege sie, ob sie nicht lieber umkehren und sich wieder ins Bett kuscheln sollte.
    » Joey Ziglars Dad sagt, der Aufzugsschacht funktioniert wie ein Thermometer. Die Kälte kommt von unten, wo nicht viel Wärme ist, weil die Wärme nach oben steigt. Die Kälte steigt den Aufzugsschacht hinauf, wie das Quecksilber.«
    » Na, das ist ja hochinteressant«, sagte Ma und verdrehte die Augen.
    Die Eingangshalle unten, sonst eher schattig, leuchtete im reflektierten Sonnenlicht. Die Pflanzen um den Brunnen herum wirkten fröhlicher als zu anderen Jahreszeiten. Oder vielleicht lag es auch daran, dass der Hausmeister, Mr G, während der Ferien viele rote Topfblumen dazugestellt hatte.
    Wie immer liefen wir eilig durch die Schwingtür nach draußen, blieben dann aber wie angewurzelt stehen. Wir kriegten einen Moment lang keine Luft mehr.
    Ma und ich starrten uns entsetzt an und verdrückten uns noch mal für ein paar Sekunden in die Lobby. » Ganz schön kalt da draußen«, keuchte ich.
    Ma hüpfte von einem Fuß auf den anderen, um sich aufzuwärmen.
    Der Wind trieb mir die Tränen in die Augen. Eigentlich ziemlich cool– ein paar Minuten lang sieht dann alles so aus, als hätte es ganz scharfe Kanten.
    » Gekniffen wird nicht!«, sagte Ma.
    Okay, es gab kein Zurück. Wir gingen wieder raus.
    Es wehte ein so scharfer Wind, dass mein Schal waagrecht über die Schulter nach hinten wegstand. Der über Nacht gefallene Neuschnee wurde jetzt vom Wind aufgewirbelt, und die Flocken tanzten durch die Luft wie fleißige, eisige Bienen, die uns ins Gesicht stachen.
    Auf dem Weg zu unserem Wagen bogen wir um die Ecke des Gebäudes und hier im Schutz des Gebäudes war der Wind nicht so schlimm. Aber zum Reden war es viel zu kalt. Ma sagt immer, von der Kälte täten einem die Zahnfüllungen weh.
    Dann traten wir wieder in die Sonne. Dort war es angenehmer. Nicht direkt wärmer, aber angenehmer.
    Wir kratzten eine eierschalendünne Eisschicht von den Fenstern und den Seitenspiegeln, während der Wagen warm wurde. Ich mach das gern. Das Eis fällt in tellergroßen Platten ab, mit einem knisternden Geräusch. Wenn es auf den Boden trifft, sieht das aus wie zerbrochenes Glas.
    Ich sagte: » Ich wüsste echt gern, was du mir zu Weihnachten gekauft hast.«
    » Ich weiß es, du musst mit der Ungewissheit leben«, sagte Ma mit zusammengebissenen Zähnen, um die Kälte draußen zu halten.
    Wir gehen samstags immer als Erstes in die Karatestunde.
    Meine Ma und ich nehmen zusammen Karateunterricht. Daran wird sich wohl auch nichts ändern. Sie sagt, falls einer von uns aufhört, würde ich beim Warten im Auto fürchterlich frieren, denn ihr sei es nicht peinlich, im Karateunterricht mit mir gesehen zu werden.
    Oder ohne mich.
    Deshalb hört keiner von uns beiden auf.
    Als Nächstes kaufen wir immer Lebensmittel ein.
    An diesem speziellen Samstag war bis zu diesem Punkt alles so gelaufen wie an jedem anderen Samstag auch. Na ja, bis auf die Tatsache, dass Hunderte von Christbäumen zum Verkauf vor dem
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