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Max, mein Großvater und ich

Max, mein Großvater und ich

Titel: Max, mein Großvater und ich
Autoren: Audrey Couloumbis
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schoss nach oben und blieb ruckartig stehen. Von der grellen Sonne taten sogar mir ein paar Sekunden lang die Augen weh, obwohl ich schon zehn Minuten auf war.
    » Auuuuutsch!!!«, schrie meine Ma. » Todesstrahlen!«
    Sonnenschein, der von Schnee und Eis reflektiert wird, ist wie aufgeladenes Sonnenlicht. Wenn man hinschaut und dann die Augen schließt, sieht man hinter den Lidern nur noch Weiß, Weiß, Weiß.
    » Ich geh jetzt mal die Fische füttern.« Ich wusste, dass Ma noch nicht aufstand. Sie stand nie beim ersten Wecken auf. Früher, als ich noch jünger war, so sieben oder acht, hat mich das viel mehr gestört. Es hat mir manchmal fast Angst gemacht.
    Ich musste ja den Bus kriegen.
    Wenn ihr den Blick des Fahrers gesehen hättet, bloß weil er ein paar Sekunden warten musste, bis ich mich von Ma verabschiedet hatte und den letzten halben Häuserblock zum Bus gerannt kam, hättet ihr auch Angst gekriegt.
    Aber mit zehn Jahren kommt man an einen Wendepunkt in puncto Reife, sagt Tante Ginny.
    Ich kann das richtig spüren. Es stört mich nicht mehr so, dass Ma nicht immer so genau sagt, wo’s langgeht. Außerdem fühle ich mich erwachsen, wenn ich mal sage, wo’s langgeht.
    Manchmal, nur ganz manchmal, wünsche ich mir, dass noch jemand da wäre, nicht nur wir zwei. Und dass, wenn Ma mal nicht sagt, wo’s langgeht, jemand anderes die Zügel in die Hand nimmt. Natürlich keiner, der mich rumkommandiert. Nur jemand, der sich dann zuständig fühlt.
    Ich stand in Mas Tür.
    » Getoastete Waffeln, aber erst mal ein Ei«, sagte ich, so wie Ma das tut, wenn sie als Erste aufsteht. Wir frühstücken jeden Samstag das Gleiche.
    » Okay, okay, ich komm ja schon.«
    Ich ging raus. Ma schläft in Slip und T-Shirt.
    Ich hatte mir nie was dabei gedacht, bis Matthew Haygood mal in der Schule sagte, so schlafe seine Ma. Da schickte ihm unsere Lehrerin, Mrs Baggs, die Sozialarbeiterin vorbei.
    Seine Ma hatte keine Ahnung, dass jemand kommen würde. Sie machte in Slip und T-Shirt die Tür auf. Die Folge war, dass Matthew drei Wochen bei seiner Großmutter wohnen musste, die nur drei Häuserblocks entfernt lebt.
    Seine Ma musste vor Gericht sagen, mit ihr sei alles in Ordnung, oder nicht in Ordnung, jedenfalls irgendetwas mit Ordnung. Was den Richter aber vielleicht nicht überzeugt hätte, wenn nicht am selben Tag auch Matthews Großmutter mit ihrem Anwalt vor Gericht erschienen wäre.
    Matthew erzählte, seine Großmutter hätte dem Richter gesagt, sie selber hätte nachts gar nichts an, und trotzdem lasse man Matthew bei ihr wohnen, das sei ja wohl ein Witz.
    Dieser Teil der Geschichte gefiel Matthew besonders. Er ging extra mit mir in die Küche und bat seine Großmutter, alles noch mal genau so zu sagen wie damals vor Gericht, und das tat sie. Haargenau.
    Es war nicht mal so sehr das, was sie sagte, sondern wie sie es sagte. Als könnte man den Richter durch einen Holzklotz ersetzen, und keiner würde es merken. Wenn ich je in meinem Leben vor Gericht muss, hätte ich gern Matthews Großmutter dabei.
    Sie erzählte mir, ihr Anwalt habe juristische Argumente vorgebracht. Und gesagt, Matthews Ma hätte nur deshalb in diesem Outfit die Tür aufgemacht, weil ihre Mutter zwei Häuserblocks weiter wohnt und sie jeden Tag besucht. Und da hätte sie halt gedacht, es sei ihre Mutter.
    Das Ende vom Lied war, dass Matthew heimdurfte.
    Alleinerziehende Mütter müssen echt aufpassen, hat Ma gesagt, als sie davon hörte. Bis dahin hatte ich nie gehört, dass Ma sich als alleinerziehende Mutter bezeichnet hätte. Oder vielleicht war es das erste Mal, dass es mir auffiel.
    Ich erinnere mich nicht an meinen Dad. Na ja. An ein paar Dinge schon. Tiefe Stimme. Jemand, der mich so unter den Arm klemmte, dass ich herunterbaumelte wie ein junger Hund. Jemand, der sich so auf mein Bett plumpsen ließ, dass es mich von der Matratze lupfte und ich wie verrückt lachte. Schade, dass ich mich nicht besser an meinen Dad erinnern kann.
    Das Problem mit der Erinnerung ist, dass man nicht sagen kann, was Realität ist und was Erfindung. Einmal hat Ma mich gefragt: » Welche Erinnerung hast du an deinen Dad?«
    Wir saßen nebeneinander auf der Couch und futterten Popcorn. Sie hatte bei der Werbung den Ton leise gestellt. Also erzählte ich ihr von der tiefen Stimme und dem Aufs-Bett-Plumpsen-Lassen.
    Ich dachte auch an die Erinnerung, die ich manchmal habe, wenn irgendjemand in der Nähe raucht. Erst ist es der Rauchgeruch. Dann sitze ich bei jemand auf
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