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Matterhorn

Matterhorn

Titel: Matterhorn
Autoren: K Marlantes
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Marine Corps Reserve, übergeben hatte. Einer der Vorposten der Kompanie hatte per Funk gemeldet, dass Mellas’ Spähtrupp gerade den Sattel zwischen Matterhorn und Helicopter Hill passiert hatte und demnächst eintreffen würde. Hawke war hier, um sich einen Eindruck von Mellas zu verschaffen, wenn dieser von der adrenalingesättigten Anspannung eines Spähtrupps, der nichts ergeben hatte, erschöpft zurückkehrte. Hawke hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es im Gefecht vor allem darauf ankam, wie die Leute sich führten, wenn sie erschöpft waren.
    Hawke war zweiundzwanzig, hatte Sommersprossen und dichtes, dunkles Haar mit einem rötlichen Schimmer, das zu seinem üppigen roten Schnurrbart passte. Er trug einen grünen Pullover, auf links gedreht, sodass das Gewebe verfilzt und schmutzig wirkte, wie alter Barchent. Es hatte Schweißflecken und dunkle Verfärbungen von seiner Schutzweste. Seine Hose war lehmverkrustet und hatte ein Loch am Knie. Auf seinem Kopf saß eine Schirmmütze, weil er die labberigen Buschhüte als Ausdruck von angeberischem Draufgängertum ablehnte. Er ließ seinen Blick im Suchmuster des Kampfveteranen über die Baumlinie huschen. Der Hang war so steil, dass er über die Bäume hinweg auf die Oberseite einer dunklen Wolkenschicht blicken konnte, die ein weit unter ihm liegendes Tal verbarg. Im Norden wurde dieses Tal von einem weiteren Kamm hoher Berge begrenzt, der dem Kamm nördlich vom Matterhorn glich. Irgendwo in diesem Tal hatte die Alpha-Kompanie kürzlich empfindliche Verluste hinnehmen müssen, vier Männer waren gefallen, acht wurden verwundet. Für effektive Artillerieunterstützung war sie zu weit vom Eiger entfernt gewesen.
    Hawke seufzte tief. Taktisch war die Kompanie in einer prekären Lage. Sie konnte keine Unterstützung erwarten und würde demnächst ins Gefecht gehen, und zwar mit völlig unbeleckten Frischlingen als Führer ihrer drei Züge. Er sagte ganz leise »Scheiß drauf«, wirbelte herum und schleuderte den Stock in die Masse aus gefällten Bäumen und Buschwerk, die die Landezone von der Reihe Schützenlöcher trennte, welche die Landezone schützen sollten. Der Song von den Country Gentlemen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf – dreistimmiger Harmoniegesang und die flinken Finger von Charlie Waller, der die Gitarre zupfte –, der davon handelte, wie bei einer Expedition zum Matterhorn in der Schweiz alle sterben. Als Hawke sich die Ohren zuhielt, damit es aufhörte, schmierte er sich Eiter aus einem offenen Dschungelfäule-Geschwür ans rechte Ohr. Er wischte sich die Hand an seinem schmutzigen Hosenbein ab, wo sich der neue Eiter mit altem Eiter, Blut von zerquetschten Blutegeln, Fett von einer verschütteten Dose Spaghetti mit Fleischklößen und der Schicht aus Matsch und schmierigem Vegetationsmaterial vermischte, mit der der verrottende Baumwollstoff seines Dschungel-Tarnanzugs überzogen war.
    Einer nach dem anderen kamen die Marines des Spähtrupps aus dem Dschungel heraus, vornübergebeugt und von Schweiß und Regen durchnässt. Hawke stieß ein leises, beifälliges Schnauben aus, als er sah, dass Mellas sich unmittelbar hinter Corporal Fisher hielt, wo er zu bleiben hatte, bis Lieutenant Fitch, der Kompaniechef, sagte, dass Mellas so weit war, an der Spitze zu gehen. Hawke wusste nicht, wie er sich zu Mellas verhalten sollte. Eigentlich machte er den Eindruck, als gehörte er nicht hierher, und dennoch war er da. Top Seavers, der First Sergeant der Kompanie, hatte über den Bataillonsfunk von Quang Tri aus verlauten lassen, dass Mellas irgendein schickes Privatcollege besucht und die Basic School als Zweitbester seines Jahrgangs abgeschlossen hatte. Das schicke College passte zu den guten Noten in der Basic School, weckte bei Hawke jedoch die Befürchtung, dass sie vielleicht jemanden geerbt hatten, der meinte, Schulintelligenz gehe über Erfahrung und Herz. Noch besorgniserregender war Top Seavers’ Bemerkung, dass Mellas, als er sich am Neujahrstag, vor gerade mal sechs Tagen, bei der Dienststelle der Division gemeldet hatte, gern zu den schweren Waffen wollte, statt zu den Schützen. Daraus hatte Seavers den Schluss gezogen, dass Mellas sich vor Spähtruppunternehmen drücken wollte, aber Hawke war sich da nicht so sicher. Seiner Einschätzung nach war Mellas kein Feigling, sondern möglicherweise bloß ein Politiker. Der Schwere-Waffen-Zug war traditionsgemäß zuständig für die drei 60 -Millimeter-Granatwerfer und die neun
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