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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz
Autoren: Oliver Bottini
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PROLOG
    DIE LETZTEN KILOMETER in der Dunkelheit, bevor am Ende der Autobahn der Funkturm auftauchen würde, eine Stahlnadel aus mattgelbem Licht. Mike Reuter liebte diesen Anblick, und selbst wenn er gefahrlos hätte fliegen können, wäre er immer mit dem Auto gefahren, diesmal aus dem Südwesten quer durch das ganze Land. Die wenigen Minuten im lichtlosen Grunewald, an dessen Ausläufern der illuminierte Turm wartete, waren reine Magie. Vorfreude und eine unbestimmte Sehnsucht erfüllten ihn, wie immer, wenn er nach Berlin kam. Als könnte auf dieser beinahe schnurgeraden Straße alles anders werden, ein neues Leben beginnen.
    Dann beschrieb die Autobahn kaum merklich eine Kurve, und der Funkturm erschien, ein Anfang, vielleicht auch ein Ende, auf jeden Fall eine Verheißung, und für ein paar Momente war Mike beinahe glücklich.
     
    An der Ausfahrt Konstanzer Straße verließ er die Autobahn. Er hatte sich ans Fahren ohne Navigationssystem gewöhnt, prägte sich die Strecken auf Parkplätzen und in Raststätten ein. Den Hohenzollerndamm überqueren, die Konstanzer bis zur Brandenburgischen Straße, links abbiegen, das Hotel gleich rechts. Langsam fuhr er daran vorbei. Ein breiter Gehsteig mit weißen Plastiktischen, an denen eine Gruppe älterer Touristen saß. Auf der anderen Straßenseite das Café,
in dem Gretzki auf ihn wartete. Ein Tisch an der Außenwand, ein rötlich glimmender Punkt, der für einen Augenblick einen Kreis beschrieb – Gretzki hatte ihn gesehen.
    Zwei Querstraßen weiter stellte Mike den Wagen ab, auf Umwegen kehrte er zu dem Café zurück.
     
    Drei junge Männer, türkisch- oder arabischstämmig, in eine lautstarke Unterhaltung verstrickt, zwei ältere Frauen, ein krummer alter Mann mit langen Haaren und einem kleinen Hund; und im Dunkel an der Wand reglos Gretzki.
    Er setzte sich zu ihm und sagte: »Ich hoffe, du hast nicht vor, dir das Rauchen abzugewöhnen.«
    »Keine Sorge.« Schmunzelnd schob Gretzki ihm die Schachtel hin, und er zündete sich eine Zigarette an. Das Gelächter der Touristen drang zu ihnen herüber. Die Anspannung wuchs, wie immer in der Dunkelheit. Zu viele blinde Flecken, zu viele Möglichkeiten. Mikes Blick irrte von Gesicht zu Gesicht, Bewegung zu Bewegung, von dunklen Fenstern zu erleuchteten, bis er sich zwang, damit aufzuhören.
    »Entspann dich«, sagte Gretzki freundlich.
    Sie warteten, bis die Bedienung den Espresso gebracht hatte.
    Während Mike Zucker hineinrührte, begann Gretzki mit leiser Stimme zu berichten. Die Maschine war pünktlich gelandet. Er hatte zur Sicherheit zwei seiner Männer mitgenommen, sie hatten ja nur Fotos der Zielperson gehabt. Außer ihnen hatte niemand am Flughafen gewartet. Gretzki hob die Zigarette an die Lippen, die Glut färbte seine verknitterte Haut rötlich. Die Zielperson war mit dem Taxi zum Hotel gefahren, fügte er hinzu, von Tegel nach Wilmersdorf, auch nicht gerade die billigste Variante.
Seit ihrer Ankunft vor einer Stunde war sie nicht mehr aufgetaucht. Keine Kontakte, keine Telefonate bislang, auch nicht während der Fahrt.
    Sie saßen dicht nebeneinander, und Mike atmete den Rauch ein, den Gretzki beim Sprechen aus dem Mund entweichen ließ.
    »Sonst irgendwas?«
    Gretzki schüttelte den Kopf.
    Ohne den Hoteleingang aus dem Blick zu lassen, hob Mike die Tasse an die Lippen. Die Touristen standen auf, traten an den Straßenrand, wo ein Großraumtaxi gehalten hatte. Speckige Männer in Poloshirts und Bundfaltenhosen, mittlere Managementebene bedeutungsloser Firmen, die Frauen ähnlich massig und ähnlich gekleidet, falsches Gold blitzte herüber, Ruhrpott oder eine Kleinstadt abseits der Autobahnen. Lärmend quetschten sie sich in das Taxi, Zeit für die Berliner Nacht.
    »Du siehst müde aus«, sagte Gretzki.
    »Viel zu tun.«
    »In
Freiburg
?« Ein sanftes Lachen, Scherze à la Gretzki.
    Er mochte Gretzki nicht. Ein kleiner, schmaler Mann Mitte fünfzig mit leblosen Augen, ein Schattenmensch, ideal für die Branche, aber zu arrogant und selbstzufrieden. Mikes Vater hatte ihn vor zehn, elf Jahren aus einer Clique ehemaliger BND - und Verfassungsschutzleute herausgefischt, inzwischen leitete er die Berliner Niederlassung. Es gab keine Klagen, keine Fehler. Er hatte Verbindungen, Erfahrung, und Mikes Vater vertraute ihm.
    Trotzdem, er mochte Gretzki nicht.
    »Was muss ich wissen?«, fragte Gretzki.
    Mike wandte sich ihm zu.
    Sie hörten Esther Grafs Telefone ab, lasen ihre E-Mails.
Sie hatten gewusst, mit welcher
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