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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring
Autoren: Theodor Fontane
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meistens nich, und alles is bloß hin.«
    Thilde nahm ein Stück Zucker und brach es zweimal durch und sah nun auf die vier Krümel, die da vor ihr lagen. In den vier Krümeln hatte sie nun wieder ihr Leben, und die Mutter, die noch kein Wort von dem armen guten Mann gesprochen hatte, rechnete schon wieder, was es gekostet habe. So nüchtern sie selber war, das war ihr doch zuviel. Sie nahm der Alten Hand und sagte: »Mutter, bringe der Runtschen den Kaffee raus, sie wird wohl noch nichts Warmes genossen haben. Die Runtschen is wirklich arm. Ich will in die andre Stube gehn und mich einen Augenblick hinlegen; vielleicht schlafe ich ein, mir is doch so übernächtig.«
    Sie dachte nicht an Einschlafen, sie wollte nur allein sein und einen Augenblick andre Gedanken haben. Sie schritt auf und ab. Da war das Stehpult, drauf die juristischen Bücher immer so verstaubt umherlagen, und da war der Sofatisch, auf dem hochaufgeschichtet die kleinen Bücher lagen und ein paar Bleistifte daneben, um immer gleich Notizen an den Rand schreiben zu können. Und da war das Fensterbrett, an das gelehnt sie so sonderbar sentimental ihre Verlobung gefeiert hatten er noch halb krank und verlegen und sentimental, sie nüchtern und berechnend. »Ich habe mich ihm immer überlegen geglaubt. Es war nicht so. Wenn das ewige Nachrechnen klug ist, dann ist Mutter die klügste Frau. Von den andren, zu denen Hugo gehörte, hat man doch mehr, und ich will versuchen, daß ich ein bißchen davon wegkriege. Aber es wird mir wohl nicht viel helfen; von Natur bin ich gradeso wie Mutter, sie berechnet immer, was es kostet, und ich rechne mir den Vorteil aus. Die vier Krümel Zucker will ich mir in eine Schachtel legen und hier in das offne Sekretärfach stellen. Da hab ich es immer vor Augen und will dran lernen, daß das ganz Kleine nu wieder anfängt, und wenn Mutter weimert, will ich nicht ungeduldig werden. Ich dachte, wunder was ich aus ihm gemacht hätte, und nu finde ich, daß er mehr Einfluß auf mich gehabt hat als ich auf ihn. Rechnen werd ich wohl immer, das steckt mal drin, aber nicht zu scharf, und will hülfreich sein und für die Runtschen sorgen. Schon deshalb, weil die Runtschen seine einzige Renonce war. Und wenn er das sieht, wird er mir's danken. Aber er wird es wohl nicht sehn.«
    Und dann ging sie wieder auf und ab und trat ans Fenster, und da, wo damals der Mond gestanden hatte, hing ein grau Gewölk.
    Aber als ihr Auge noch drauf ruhte, rötete sich's, und die Sonne gab einen goldnen Saum. »Vielleicht ist das meine Zukunft.«
    Und sie holte sich den Regenmantel aus dem Entree, deckte sich zu, verfolgte das Schattenspiel an Wand und Decke und schlief ein.
     
Siebzehntes Kapitel
     
    Zu Thildens besondren Eigenschaften gehörte von Jugend auf die Gabe des Sichanpassens, des Sichhineinfindens in die jedesmal gegebene Lage. Wäre Hugo am Leben und im Amt geblieben und nach Ablauf (was nicht anzunehmen, aber doch auch nicht unmöglich) seiner Woldensteiner Amtszeit wegen bewiesener Tüchtigkeit zum Oberburgemeister einer Provinzialhauptstadt gewählt worden, so würde seine Frau, bei Besuchen des Oberpräsidenten, ja selbst bei Kaiserparaden, die Honneurs des Hauses mit ausreichender Geschicklichkeit und jedenfalls mit vollkommener Unbefangenheit gemacht haben; jetzt, wo sie sich nach einem kurzen Erfolg auf die Stufe zurückversetzt sah, von der sie ausgegangen war, fand sie sich auch darin zurecht und nahm ihr altes Leben ohne jede längre Betrachtung und jedenfalls ohne Klage darüber wieder auf. Die Sache lag so und so, folglich mußte so und so gehandelt werden. Nur nicht nutzlose Betrachtungen. Es handelte sich für sie keinen Augenblick darum, ihre Situation in irgendein Gegenteil zu verkehren, sondern nur darum, aus der Situation, wie sie nun mal war, das Beste zu machen, und dies tat sie voll Überlegung und auf ihre Weise, rücksichtsvoll und doch auch wieder entschieden. Soweit es möglich, war sie unerschöpflich in kleinen Guttaten und Aufmerksamkeiten und der Alten insoweit zu Willen, daß sie wie vordem das bloß alkovenhafte Schlafzimmer mit ihr teilte; den ganzen Tag aber [die] sich beständig über Spittel und ähnliche Dinge verbreitende Unterhaltung mit anzuhören oder Fragen zu beantworten, die sich fast immer auf ihr intimes Woldensteiner Leben bezogen, dazu war sie nicht mehr gewillt und hatte dementsprechend kategorisch erklärt, daß sie den Tag über allein sein müsse. »Das mit dem Vermieten müsse ein
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