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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring
Autoren: Theodor Fontane
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Burgemeister umsehn.«
    Die Landrätin lachte. »Bei Ihnen draußen gedeiht das Zweite Gesicht.«
    »Nein. Aber ich sehe gut.«
     
Fünfzehntes Kapitel
     
    Der Arzt war über Land; erst gegen Morgen kam [er] und hatte gegen Thildes Behandlung des Kranken: Brotrinde mit Essigwasseraufguß, ein Mittel, das noch von der alten Möhring herrührte, nichts Erhebliches einzuwenden. »Es hat nichts geschadet«, sagte er, »und das ist immer schon viel.« Er verordnete dann eine Althee-Abkochung, und als Thilde fragte, »ob es was zu bedeuten habe«, lächelte er und sagte: »Einigermaßen; es ist eine Lungenentzündung. Vor allem Ruhe.«
    Thilde war eine gute Krankenpflegerin und gab ihm die Medizin mit einer Genauigkeit, als ob das Leben an der Minute hinge. Sie glaubte nicht daran, aber sie wollte nichts versäumt haben. Die Vormittagsstunden vergingen unter Umwandlung des Schlafzimmers in ein Krankenzimmer; die nach dem Hof hinausgehnden Fenster wurden verhangen, während die Tür nach der Vorderstube offenblieb, nur durch eine halbe Portière geschützt. Thilde sah oft hinein, ohne daß der Kranke irgendwas verlangt hätte, dann ging sie wieder an das Vorderfenster, das, von der vorigen Frau Burgemeister her, noch einen altmodischen Tritt und einen Fensterspiegel hatte. Dieser war eigentlich überflüssig, denn es gab so wenig zu sehn, daß es auch nichts zu spiegeln gab. Mitten auf dem Marktplatze stand das Rathaus mit einer schräglaufenden hölzernen Stiege, die bis zum ersten Stock aufstieg und sich hier in einem schmalen Laubengang fortsetzte, aber alles von Holz. Dicht neben dem Rathaus standen ein paar alte Scharren, verschlossen und verschneit. An der andern Marktplatzseite war die Löwenapotheke, deren Provisor gähnte, denn seit der Mixtur für den Herrn Burgemeister war seine Tätigkeit noch nicht in Anspruch genommen worden. Daneben ein Bäckerladen mit einem schräggestellten Blechkuchen im Schaufenster und einigen bewundernd davorstehenden Kindern; die Sonne fiel so grell darauf, daß Thilde die großen Zuckerstellen erkennen konnte. Zwischen dem allem glitt ihr Auge hin und her und nahm erst eine andre Richtung, als sie, diesmal allerdings mit Hülfe des Spiegels, den Briefträger die Herzog-Kasimir-Straße heraufkommen sah. Er trat auch gleich danach ins Haus, und Thilde ging ihm entgegen, um ein paar Briefe in Empfang zu nehmen. Einer war aus Breslau, also wahrscheinlich eine Rechnung oder ein Verzeichnis, der andre eine Vermählungsanzeige Rybinski[s] (aber mit einer andern Dame) und der dritte von der alten Frau Möhring. »Frau Burgemeister Großmann, geb. Möhring. Woldenstein in Westpreußen.« Die Buchstaben waren so steif gekritzelt wie auf einem Waschzettel. »Gott«, sagte Thilde, »wenn Mutter bloß nicht immer geborne Möhring schreiben wollte. Möhring ist doch zu wenig.« Dann ging sie bis an die Portière und horchte hinein, und als sich nichts in der Schlafstube regte, ging sie wieder bis ans Fenster und setzte sich in den kleinen schwarzen Stuhl mit drei Goldstäbchen, der hier stand. Und nun las sie.
    »Meine liebe Thilde. Die Kiste kam gerade Heiligabend an, aber schon früh, und da gerade die Runtschen da war, sagte ich, nu, Runtschen, nu wollen wir sie aber auch gleich aufmachen. Und da hättest Du sehn sollen, wie geschickt sie war und wie sie jeden einzelnen Nagel rausholte, ohne Kneifzange, bloß alles mit 's Küchenmesser. Und als wir alles raus hatten, gab ich ihr eins von die Pakete, weil ich dran denken mußte, daß ihr die Petermann zu vorigen Weihnachten auch ein großes Stück Steinpflaster gegeben hatte. Sie war aber noch nich ganz zufrieden, bis ich ihr sagte: ›Na, Runtschen, wenn es soweit is, den Schinkenknochen, den kriegen Sie auch.‹ Da bedankte sie sich; ich weiß das schon von Ulrike, sie sind immer so sehr nach Fleisch. Natürlich, wer soll es denn bezahlen. Und muß ich Dir doch sagen, daß ich mich sehr über alles gefreut habe, weil man doch die Liebe sieht, und dann auch, weil ich sehe, daß Du's kannst und Ihr's haben müßt. Und sieh, Thilde, das is doch die Hauptsache. Denn mit der Sparkasse, das is ja nu vorbei, weil es alles soviel gekostet hat, und wenn ich mir denke, daß es auch knapp ginge, was sollte da werden. In 'n Spittel mag ich nich. Und nu sage mir, Thilde, wie steht es eigentlich mit Dir? Ach, es macht ja bloß Angst und Sorge, und wie sie nachher einschlagen, weiß man auch nich. Besser ist besser. Und Du hast mir noch immer nicht
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