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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring
Autoren: Theodor Fontane
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das Eis hin, und die Glöckchen läuteten, und die weißen Decken blähten sich im Winde, während der Alte von [der] Pritsche her seine Konversation machte: »Freut mich, meine gnädigste Frau... Sacrebleu, man sieht doch... große Stadt... andre Menschen... Ah, Berlin... nicht preußisch ich, nicht sehr... Aber Berlin... O Berlin, eine merkwürrdigen Stadt, eine tollen Stadt.«
    Thilde versicherte lachend, daß sie davon eigentlich wenig gemerkt habe, das Berlin, das sie kenne, sei sehr wenig toll, fast zu wenig, es passiere ja eigentlich gar nichts...
    »Ja, meine Gnädigste, das macht die Stelle, wo man steht, von der aus man sieht, ich habe gestanden immer sehr in Front, immer sehr avancé.«
    »Glaub ich, Herr Graf. Ihre gesellschaftliche Stellung ...«
    »O nicht das Gesellschaftliche, das vor dem großen Tor. O viele Lichter da, viele Schatten. Da hatten wir Maskenball. Kroll. Kennen Sie Kroll?«
    »Gewiß, Herr Graf. Jede Berlinerin wird doch Kroll kennen.«
    »Und da hatten wir Maskenball. Ich Fledermaus. Und da hatten wir Orpheum...«
    »Auch davon habe ich gehört...«
    »Aber ich habe gesehn. Eine merkwürrdige Stadt, eine tollen Stadt, aber eine Stadt ohne Grimasse...«
    »Ja, das ist wahr.«
    »Eine Stadt von sehr freier Bewegung...«
    »Ich glaube doch nicht überall.«
    »Nein, nicht überall. Das ist wieder, wo man steht, meine gnädigste Frau. Wo ich gestanden, sehr freie Bewegung. Und keine falsche Verschämung...«
    »Aber doch vielleicht eine richtige?«
    »Verschämung immer falsch, immer Grimasse. Und ich liebe die freie Bewegung.«
    Ein Herzählen sämtlicher Berliner Lokale mit freier Bewegung stand in Sicht, und wer will sagen, wo Graf Goschin schließlich gelandet wäre, wenn nicht eine plötzlich quer durch das Flußeis gezogene Rinne das Weiterfahren gehindert und zur Umkehr gezwungen hätte. Wenige Minuten, und der Schwanenteich war wieder erreicht, wo sich die Woldensteiner Honoratioren in engerem Kreise bewegten, die jüngern in Nähe eines Leinwandzeltes mit einem aufgemauerten Herde, drauf eine Punsch- und Waffelbude, draus der angesäuerte Fettqualm ins Freie zog. In Front dieser Bude hielten die Schlitten, und auf einer Bank, der die eine Wand der Bude als Rückenlehne diente, saßen Hugo und die Landrätin, die eben den Pikschlitten verlassen hatte, sich hier zu erholen. [Hier hielt jetzt] der kleine Muschelschlitten des Grafen, und der Graf schlug die Schur zurück, um Thilden aus ihrem Gefängnis zu entlassen.
    »Ja, meine gnädigste Frau. Es hat nicht sollen sein...«
    »Was, lieber Graf?«
    »Escapade. Wollte wie Gott der Unterwelt oder Pluto...«
    »Warum nicht höher hinauf, warum nicht Jupiter?«
    »Ach, ich verstehe. Wegen der Attrappe. Gnädigste Frau haben eine spitze Zunge.«
    Er winkte von den Leuten, die umherstanden, einen heran und gab ihm die Zügel und hieß ihn den Schlitten seitwärts führen, an eine Stelle, wo rotes Weidengesträuch vom Ufer her auf das Eis hinabhing. Dann nahm er Hugo unterm Arm und ging, um ein Glas Punsch zu trinken, auf die Bude zu, wo wenige Schritt neben dem Herd ein zerschlißnes Sofa stand.
    »Sehr erfreut, Burgemeister. Eine charmante Frau, kluge Frau, gar nicht ängstlich. Haben alles gesehn und denken immer, alles geht vorüber, und den Kopf wird es ja wohl nicht kosten.«
    Hugo, halb geschmeichelt, bestätigte. Das sei so die Schule der großen Stadt.
    »Ja, merkwürdige Stadt, tolle Stadt.«
    Diese Worte hatten etwas Beunruhigendes selbst für Hugo, der seiner Thilde sicher zu sein glaubte. Er kam aber nicht dazu, dem lange nachzuhängen, denn ein heftiger Hustenanfall zwang ihn, sich an der Sofalehne festzuhalten. Als der Anfall vorüber war, kam der Graf mit einem Glase Punsch, »das löse«.
    Hugo kam in die Verlegenheit, ablehnen zu müssen, es würde seinen Zustand verschlimmern.
    »Kann nicht verschlimmern. Punsch nie.«
    Als er Hugo mit seinen listigen, etwas blutunterlaufnen Augen aber ansah, kam ihm doch ein Zweifel, ob Punsch hier Allheilmittel sei, und er ging sogar hinaus und rief die noch im Gespräch mit der Landrätin auf der Bank sitzende Thilde.
    »Gnädigste Frau, der Herr Gemahl. Packen wir ihn in die Schur, und der Knecht kann ihn nach Hause fahren.«
    »Es ist besser, wir gehn, Herr Graf«, sagte Thilde, und Hugo führend, der traumhaft hin und her schwankte, gingen sie auf die Stadt zu.
    Als sie fort waren, setzte sich der Graf neben die Landrätin und sagte: »Woldenstein kann sich nach einem neuen
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