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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring
Autoren: Theodor Fontane
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ihm die vorletzte Nummer der Königsberger Hartungschen Zeitung, die in Woldenstein am meisten gelesen wurde, und sagte: »Sehr gut geschrieben; ich möchte sagen fein. Aber es ist die Wahrheit. Er ist ein feiner Herr, der Herr Landrat.« Und dabei ließ er Hugo mit dem Zeitungsblatte allein.
    Hugo schüttelte den Kopf und setzte sich in einen Stuhl neben dem Schenktisch, auf dem sechs, acht Weingläser mit Apfelsinencrème, Baumtorte und kleine Korianderkuchen standen. Er selbst hatte sich schon vorher einen Curaçao geben lassen, und während er daran nippte, las er die blau angestrichne Stelle:
    »
Woldenstein, 14. September
. In unsrem Kreise rührt man sich bereits für die Wahlen, ohne daß eine besonders pressante Benötigung dafür vorläge. Denn die Wahl unsres Landrats v. Schmuckern darf wohl als gesichert angesehn werden, da, soviel wir bisher erfahren konnten, seine politischen Gegner auf Aufstellung eines Gegenkandidaten verzichtet haben. Sowohl die polnisch-katholische wie die fortschrittliche Partei vereinigen sich in Würdigung der hervorragenden Charakter- und Verwaltungseigenschaften des Landrats v. S. [und halten es für ihre Pflicht], selbst auf Kosten ihrer sonstigen politischen Überzeugungen, ihrem Vertrauen gegen ihn Ausdruck zu geben. Es läßt sich hier von einem Siege der Persönlichkeit sprechen, der um so glänzender ausfällt, als das landrätliche Hauswesen eine Anziehung auf das Polentum äußert. Die feine Sitte, die dem Polentum soviel bedeutet, hat in diesem Hauswesen ihre Stätte. Diese Vorzüge sieht sich auch der Fortschritt, trotz gesellschaftlichen Draußenstehns, in der angenehmen Lage vollauf würdigen zu können, weil der vorherrschende Ton nicht nur ein Ton der Vornehmheit, sondern beinah mehr noch schönste Humanität ist. Frau v. Schm. hat einen Krippenverein [ge]gründet, zu dem auch die dritte Konfession beigesteuert hat, und die Tätigkeit dieses Vereins wird am Weihnachtsabend Freude in die Hütten der Armut tragen. Über alle großen Fragen hinaus bedarf unser Kreis vor allen Dingen einer Sekundärbahn, um endlich bequeme Verbindung mit der Weichsel zu haben, eine Sache, darin alle Parteien einig sind. Und diese Bahn uns zu sichern, ist Landrat v. Schm. geeigneter als jeder andre, da seine Beziehungen zum Hofe bekannt sind. Adel, wenn er die Zeit begreift und auf Exklusivität verzichtet, ist immer die beste Lokalvertretung.«
    Hugo legte das Blatt aus der Hand und nahm einen Korianderkuchen. »Also daher. Er hält mich für den Verfasser. Natürlich, [da] in Woldenstein nur drei Menschen in Betracht kommen können: Silberstein, der katholische Lehrer und ich, und da's Silberstein und der Lehrer aus innern Gründen nicht gut sein können, so bin ich es...« Er erhob sich und sah in den Saal hinein, um noch an Silberstein eine Frage zu richten. Aber der war fort, und so brach er auch auf, um auf seine Wohnung zuzugehn. Unterwegs fiel ihm ein: Sollte vielleicht...? Aber nein, das war nicht möglich, dazu war es alles zu gewandt, zu routiniert. Und noch damit beschäftigt, trat er in sein Zimmer, wo Thilde gerade den roten Papierschleier über die Lampenglocke warf. Auf demselben Sofatisch lag auch ein Zeitungsblatt.
    »Guten Abend, Thilde. Nun, was gibt es?«
    »Das mußt du wissen; du warst ja aus.«
    »Ja, ich war in der Ressource, nur eine Viertelstunde. Der Landrat wie ein Ohrwurm. Und dann kam Silberstein und gab mir die Hartungsche Zeitung. Ein Artikel drin aus Woldenstein.«
    »Ah, das is gut; ich dachte schon, er wär unter den Tisch gefallen.«
    »Aber Thilde, dann ist es am Ende doch so, dann hast du den Artikel eingeschickt?«
    Thilde lachte. »Ja, das mit dem Landrat, das mußte anders werden, das ging nich so weiter.«
    »Also wirklich – du hast ihn geschrieben?«
    »Nein, geschrieben nicht eigentlich.«
    »Aber wer denn?«
    »Ein Unbekannter, dem ich nun zu Danke verpflichtet bin. Als wir damals das Gespräch hatten, da sah ich jeden Tag, wenn die Vossische kam, in die Wahlangelegenheiten hinein, und es sind nu wohl schon acht Tage, da fand ich das alles in einer kl[einen] Korrespondenz aus Myslowitz. Und danach hab ich es zurechtgemacht. Wenn man erst das Gestell hat, ist es ganz leicht, eine Puppe zu machen.«
    Er lächelte gutmütig vor sich hin, war aber etwas verlegen. »Thilde, du solltest doch lieber so was nich tun.«
    »Ich dachte, du würdest mir danken, daß ich das beglichen und deine Stellung angenehmer gemacht habe.«
    »Ja, du kannst aber
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