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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring
Autoren: Theodor Fontane
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erinnert habe. Hugo dachte den ganzen Abend über an Rybinski und beneidete das Stehen in der freien Kunst. Der Ball, der folgte, ließ aber trübe Gedanken nicht aufkommen, er eröffnete mit der Landrätin die Polonaise, der Landrat folgte mit Thilde, die die Reichstagsberichte jeden Morgen las und einen markanten Satz aus einer kurzen Rede zitierte, die der Landrat über die Simultanschulfrage gehalten hatte. »Sie interessieren sich für Politik, meine gnädigste Frau.« – »Ja, Herr Landrat. Je mehr ich die kleiner Verhältnisse fühlte, die mich umgaben, je mehr empfand ich eine Sehnsucht der Auffrischung, die nur, ich will nicht sagen das Ideal, aber doch das Höhere geben kann. Ich darf sagen, daß die Reden des Fürsten erst das aus mir gemacht haben, was ich bin. Es ist so oft von Blut und Eisen gesprochen worden. Aber von seinen Reden möchte ich für mich persönlich sagen dürfen: Eisenquelle, Stahlbad. Ich fühlte mich immer wie erfrischt.« Beim Souper, das den Tanz auf eine Stunde unterbrach, saßen sich Landrat und Burgemeister gegenüber. Als um zwei Uhr der Tanz wieder begann, rückten sie nebeneinander, und der Landrat sagte: »Burgemeister, Freund, Sie haben eine famose Frau. Kolossal beschlagen. Weiß ja Bescheid wie 'n Reporter oder eigentlich besser: die Reporter sind Maschinen und folgen bloß mit Ohr und Hand. Aber Ihre Frau, Donnerwetter, da merkt man was, Muck, Rasse, Schick. Sagen Sie, was is es für eine Geborne? vielleicht Kolonie oder Familie, die den Adel hat fallenlassen.« Hugo nannte den Namen, und der schon stark angefisselte Landrat fuhr fort: »Hören Sie, Burgemeister, es steckt da was drin... Oder ob vielleicht die Mutter...«
    Hugo sagte, »soviel er wisse...«
    »Nun, ganz egal«, schloß der Landrat, »ganz egal, wo's herkommt, wenn's nur da ist... Und muß ein Bombengedächtnis haben.«
    Hugo, gegen den Schluß hin, tanzte noch eine Radowa mit der Landrätin und geleitete dann beide bis an den draußen wartenden Schlitten. Er war im Frack mit weit ausgeschnittner Weste, und draußen blies ein Südoster von den Karpaten her.
    Als er mit Thilde eine Stunde später in seiner Wohnung ankam, war er im Fieber und hüstelte.
    »Thilde, mir is nicht recht; ich möchte ein Glas Zuckerwasser.«
    »Immer dasselbe. Zuckerwasser. Wer trinkt Zuckerwasser, wenn er von einem Ball nach Hause kommt. Ich werde dir eine Tasse Kaffee machen.« Und sie holte die Spirituslampe, setzte das Kesselchen auf und machte ihm eine Tasse Kaffee von drei Lot.
    Er fieberte furchtbar.
     
    Wäre das Wetter über Nacht anders geworden, so hätte das Fieber vielleicht nicht viel bedeutet. Aber der Wind ging noch mehr nach Osten rum, und an Schonung war nicht zu denken, weil allerhand Visiten zu machen und allerhand Pik- und Stuhlschlitten für den Nachmittag zu besorgen waren. Sich davon auszuschließen war um so unmöglicher, als Hugo beim Abschied um die Ehre gebeten hatte, die Landrätin auf dem Eise fahren zu dürfen. Eine kleine Eitelkeit kam hinzu, er war ein sehr guter Schlittschuhläufer und wollte sich in den Pausen als solcher zeigen. Thilde schlug ihm zum Frühstück ein Glas Portwein vor, aber sein Zustand war doch schon so, daß er auf Haferschleim drang. Er genoß auch bei Tisch nichts andres und nahm ein Schächtelchen isländische Moospastillen mit sich, als er um drei zu dem Rendezvous auf dem Eise aufbrach. Er sah sehr verändert aus, was auch Thilden nicht entging, und weil sie trotz alles Abhärtungsprinzips, nach dem sie selber lebte, nicht ohne eine gewisse Teilnahme für ihn war, so würde sie ihn vielleicht vom Eise zurückgeschickt und bei der Landrätin, die noch nicht da war, bei ihrem Eintreffen entschuldigt haben, wenn [nicht] ein alter polnischer Graf, dessen Bekanntschaft sie schon am Abend vorher gemacht, sich ihrer bemächtigt und ihr auf seinem kleinen Muschelschlitten, mit zwei Scheckenponies davor, einen Platz angeboten hätte. Sie mußte das annehmen, denn er war der reichste und angesehnste Mann der ganzen Gegend, Original und schon über siebzig.
    Thildes franke, ganz uneingeschüchterte Manier hatte ihm schon auf dem Silvesterball gefallen, und er war enchantiert, als sie seine Aufforderung, den Platz im Schlitten einzunehmen, ohne weitres annahm. Er fuhr selbst und legte seine mächtige Wolfsschur um den kleinen Schlittensitz herum und forderte Thilden auf, die Schur von rechts her zu halten, so daß sie wie in einer Pelzlaube saß. Und nun flog der Schlitten über
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