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Masken der Begierde

Masken der Begierde

Titel: Masken der Begierde
Autoren: Ivy Paul
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verbreiten. Natürlich klappte es bei Allegra nicht. Sie hatte ihn vom ersten Moment an um den Finger wickeln können. Schon als Säugling, zahnlos und in Windeltücher gepackt.
    Allegra winkte gönnerhaft ab. „Nein, such du sie aus! Aber ich mag keine alte vertrocknete Jungfer und auch keine strenge Schulmeisterin. Wähle eine junge, hübsche Dame mit Sinn für Humor.“
     
    Violet faltete das Taschentuch behutsam auseinander. In der Mitte des Stoffquadrats lagen eine Diamantkette und passende Ohrstecker. Mit zitternden Fingern strich sie darüber. Es bräche ihr das Herz, wenn sie den Schmuck ebenfalls versetzen müsste. Er war alles, was ihr von ihrer geliebten Mutter geblieben war. Aber falls das mit der Stelle nicht wie gewünscht klappte, würde sie auch die Kette und den Ohrschmuck zu einem Preis verpfänden müssen, der lächerlich niedrig war.
    Verbittert schüttelte Violet den Kopf und wickelte den Schmuck sorgfältig in das Taschentuch ein. Ihr Magen grummelte, und sie rieb sich die Nase. Die Stellenanzeige las sich mysteriös und verlockend zugleich. Es wurde eine junge, respektable Dame gesucht. Gebildet, patent und unabhängig, ohne Scheu vor einem kranken Schützling, zu dessen Fürsorge, Betreuung und Gesellschaft sie angeheuert wurde.
    Sie wunderte sich über den Ausdruck „Fürsorge“. Sollte es nicht heißen „Pflege“? Aber es war ihr gleichgültig, solange sie nur aus London fortkam. Weg von ihrem früheren Leben, ihren alten Bekannten. Nicht einer ihrer sogenannten Freunde hatte ihr Hilfe angeboten oder nach ihr gesucht. Für sie alle war Isabel Dorothea Waringham nicht länger existent.
    Auch was sie selbst betraf, gab es Isabel Dorothea Waringham nicht mehr. Sie war mit einem triumphalen Knall gestorben, und aus ihrer Asche war Violet Delacroix entstiegen. Arm und alleinstehend, aber mit genug Würde, um jeden Morgen in den Spiegel blicken zu können.
    Wenn ihr die Glücksgöttin nur ein wenig wohlgesonnen war, würde Violet eine respektable Stelle im Lake District antreten. Die Kutsche käme jeden Moment, um sie zu dem Vorstellungsgespräch abzuholen. Sollte sie ihr Gegenüber beeindrucken, ginge es direkt weiter auf seinen Landsitz, wo ihr zukünftiger Schützling sie erwartete.
    Sie strich sich über die sorgfältig hochgesteckte Frisur sowie den einfachen Rock und lächelte ihrem Spiegelbild zu. Dann verließ sie das ärmliche Pensionszimmer, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
     
    Lucas streckte seine langen Beine aus und starrte in das Kaminfeuer. Er hatte einen nicht enden wollenden Vormittag hinter sich. Von allen schriftlichen Bewerbungen auf die Stelle als Allegras Gesellschafterin zog er nur vier Damen in die engere Wahl.
    Mrs. Cattleby sagte ihm bisher am ehesten zu, auch wenn sie blind wie ein Maulwurf schien und ihr Alter aus ihr eher die Großmutter denn eine Freundin für Allegra machte. Die anderen Damen, die sich beworben hatten, stellten sich leider als Reinfälle heraus. Die eine erwies sich als sauertöpfische Pastorentochter, und die andere weigerte sich, die Pflege zu übernehmen, sodass sich Lucas mit dem Gedanken anfreundete, Allegra mit Mrs. Cattleby zu beglücken. Ihm graute vor der nächsten Anwärterin, einer Miss Delacroix, eigenen Aussagen zufolge eine mittellose junge Dame von Stand, die auf diese Weise ihr Auskommen sichern wollte.
    Lucas seufzte und nahm einen Schluck Brandy, der ihm vom Wirt bereitgestellt worden war. Er bewunderte die goldbraune Farbe im Glas und bedauerte, nüchtern bleiben zu müssen. Die Konfrontationen mit den Frauen hatte ihm den letzten Nerv geraubt. Wie hatte er nur vergessen können, wie anstrengend es war, sich in der Gegenwart des schönen Geschlechts zu befinden? Schnatternde Weibsbilder, putzsüchtig, egozentrisch und empfindlicher als jedes Rassepferd. Der Himmel bewahre ihn davor, dass Allegra zu einer derartigen Schnepfe heranwuchs!
    Die letzte Bewerberin gab ihm gewiss in Kürze die Ehre. Sie hatte in ihrem Bewerbungsschreiben ihre Pünktlichkeit herausgestellt, und von draußen näherten sich soeben Schritte. Es war Zeit, es könnte besagte letzte Bewerberin sein. Er stellte den Brandy ab und zog sich in das dunkelste Eck des Raumes zurück. Um den Ruf seiner Familie zu schützen, hatte er entschieden, anonym als Esquire Smithson aufzutreten, und hielt sein Gesicht im Schatten, um eventueller Wiedererkennung vorzubeugen.
     
    Nervös betrat Violet das Wirtshaus. Im Innern ging es lebhaft zu, obwohl es doch erst
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