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Marzipaneier (Junge Liebe)

Marzipaneier (Junge Liebe)

Titel: Marzipaneier (Junge Liebe)
Autoren: Manuel Maier
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unverändert. Der letzte Schultag steht an. Zwischen Dad und mir herrscht nach wie vor Funkstille. Mum versteht mich inzwischen. Sie rechtfertigt mich vor Dad und vertritt meine Position vor ihm. Täglich bin ich im Krankenhaus und habe mich mittlerweile an den lausigen Geruch gewöhnt. Bianka gibt ihre Ehe nicht auf. Mit ihr wechsle ich ebenfalls kein Wort – was angesichts der wenigen Sätze, die wir bislang miteinander ausgetauscht haben, nicht weiter tragisch ist. Wir sind uns nur in einem Punkt einig, Ben beizustehen. Morgens sitzt sie an seinem Bett und nach der Schule komme ich, um sie abzulösen. Ich spreche mit ihm, als ob er mich hören und verstehen könnte. Halte seine Hand und lege meinen Kopf dicht neben ihn. Dass er gelähmt sein wird, ist inzwischen ausgeschlossen. Eine gute Nachricht. Die Wirbelsäule hat gehalten. Ob er jedoch jemals aus dem Koma erwachen wird, steht in den Sternen.
    Gestern habe ich Oma und Opa besucht. Es halten wie immer nur die Frauen zu mir. Opa ist im Garten verschwunden und erst wieder aufgetaucht, als ich ging. Er ist sauer auf Ben und mich. Er hat dieselben engstirnigen und konservativen Ansichten wie Dad. Oma ist durch den Wind. Morgens bangt sie mit Bianka um Bens Leben. Sie möchte Bianka unterstützen, wenn es hart auf hart kommt. Im Gegensatz zu Opa steht sie zu Ben, weil sie ihn versteht. Sie sagt er sei ihr Kind und würde es immer bleiben. Sie wird ihn immer lieben. Seine Beziehung zu mir entwerte ihn als Menschen nicht. Das sollte sie mal meinem Dad sagen. Sie beteuert Bewunderung für uns zu empfinden. Sie fühlt sich schuldig, weil sie uns diese Neigung weitervererbt zu haben befürchtet, was ja völliger Quatsch ist – aber es ist ihr nicht ganz auszureden.
    „Ich hatte als ich noch jung und knackig war eine Frau lieb. In der Zeit nach dem Krieg war eine derartige Liebe skandalös. An ein Zusammenleben war nicht zu denken. Dann kam dein Großvater. Aber ich habe trotz meines erfüllten Lebens diese Entscheidung gegen Maria bis heute bereut. Wenn ich heute die Möglichkeit hätte, mich ohne Zwang entscheiden zu können, hätte ich keinen Mann. Das ist das Schöne an der modernen Welt. Ich halte zu meinen Kindern. Auch zu Bendix. Ich wünsche mir, dass er aufwacht und ihr glücklich werden könnt. Meinen Segen habt ihr. Macht es besser als ich damals. Lass das mit Maria nur nicht deinen Großvater wissen.“ Wir führten ein aufschlussreiches Gespräch.
    Das Telefon klingelt als ich die Treppe hinabsteige. Meine Intuition hindert mich daran den Hörer abzunehmen. Um diese Zeit ruft niemals jemand an. Es muss das Krankenhaus sein. Beunruhigt schnappe ich mir meinen Rucksack und mache mich überstürzt auf den Weg. Am Morgen bin ich noch nicht bereit für eine Hiobsbotschaft. Ich spüre es. Ben ist nicht mehr da. Via Telefon will ich das nicht erfahren. Vorsichtig versuche ich mich auf meine Weise daran zu gewöhnen. Das Koma war besser als der Tod. Ich konnte ihn wenigstens noch spüren und in seiner Nähe sein, auch wenn das kein Vergleich mit der Nähe zu ihm vor dem Unfall war. Ich bin dankbar ihn gehabt zu haben. Besser nur für kurze Zeit, als überhaupt nicht. Ich habe einiges von ihm gelernt. Ich werde mich nie wieder unterkriegen lassen und von nun an immer meine Gefühle ausleben. In letzter Zeit werde ich mit so allerlei mir Fremdem konfrontiert. Hört das denn nie mehr auf?
    Nach der Schule gehe ich zum Hospital. Die Hoffnung, dass er noch auf Intensiv liegt, habe ich nicht aufgegeben. Es ist doch möglich, dass uns das Ärzteteam über eine Notoperation unterrichten wollte. Auf wackeligen Beinen mit meinem Versetzungszeugnis in der Hand schleiche ich zielgerichtet zu Bens Abteilung. Sein Bett ist leer! Nicht zu fassen. Er wurde aus der Blüte seines Lebens gerissen. Das ist unfair. Aus und vorbei. Warum hat das Schicksal dermaßen zugeschlagen? Ich wollte ihm beweisen, dass ich durch bin. Er soll sich keine Sorgen um mich machen. Es überkommt mich wieder. Zusammengekauert in einer Ecke des Zimmers weine ich und schlage wild mit meinem Zeugnis auf den Boden. Die Geräte sind abgestellt. Für immer. Ich möchte ihn noch einmal sehen. „Warte auf mich“ waren die letzten Worte, die er an mich gerichtet hat. Er ist weg. Für immer.
    Eine junge Krankenschwester betritt verdutzt den Raum. Ich heule ihr die Ohren voll. Beim Versuch mich zu beruhigen, falle ich ihr immer wieder ins Wort. Sie will mich wegschicken. Ich bleibe! Wer weiß, vielleicht
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