Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love
Autoren: Christine Grän
Vom Netzwerk:
folgen. Die Handtasche aus rot gefärbtem Schlangenleder presst sie an ihre Brust. Irgendetwas ist in dieser Tasche, denkt Anna, und dass sie sie in einem günstigen Moment durchsuchen wird.
    »Danke, Fjodor«, sagt Joy in perfektem Deutsch, als sie die Wohnung verlassen. Anna muss dringend zur Toilette und findet ihren Schlüssel nicht. Also leert sie ihre Tasche vor der Tür aus, findet ihn, sperrt auf und schiebt den Tascheninhalt mit dem Fuß ins Innere ihrer Wohnung. Joy steigt graziös über den Haufen hinweg, und Anna weist mit der Hand in Richtung Telefon. Dann hastet sie ins Bad und versperrt die Tür. Was Rosi Stark besser auch getan hätte… nie wieder in ihrem Leben wird Anna in einer Toilette sitzen, ohne daran denken zu müssen. Oh Gott, sie hat vergessen, den Täufer anzurufen, um ihm von ihrem Treffen mit Mackeroth zu berichten. Sie wird ihn natürlich belügen und nichts von den Kassetten erzählen. Anna brütet über einer guten Geschichte, während sie sich die Hände wäscht und ihr blasses Gesicht mit Missvergnügen betrachtet, als es an der Tür klingelt…
    Sie denkt, dass es Fjodor ist, der sich nicht von seiner neuen Liebe trennen kann, und läuft über den Flur, um ihm zu öffnen.
    Es war ein Fehler, vorher nicht durch das Guckloch zu sehen. Als Anna die Tür wieder schließen will, stellt er seinen Fuß hinein. Er trägt teure, schwarz glänzende Schuhe. Es ist der Bulle.
    »Ich kann ohne Sie nicht mehr leben. Und Sie wollten mich doch anrufen. Warum vergessen Sie mich immer, Anna?«
    Sie geht rückwärts und er vorwärts. Sie denkt an Joy, die im Büro telefoniert, und daran, dass er wie eine Dampfwalze ist, die sich nicht aufhalten lässt. Die zwitschernde Stimme ist deutlich zu hören, Joy hat die Bürotür offen gelassen.
    »Ich wusste gar nicht, dass Sie sich eine Sekretärin leisten können«, sagt der Bulle.
    Anna bleibt stehen und verschränkt die Arme. »Mackeroth hat mit der Sache nichts zu tun. Und ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    Er steht vor ihr und streicht mit dem Handrücken über ihre Wange. Er ist ein sanfter, gefährlicher Mann, denkt Anna und fragt sich, wie diese Kombination möglich ist.
    »Sie spricht Polnisch, Ihre Sekretärin.« Er nimmt Annas Arm und geht mit ihr bis ans Ende des Flurs durch die Tür, die zum Büro führt. Joy sitzt auf dem Schreibtisch und hält den Hörer in der Hand. Sie wippt mit den Beinen und sieht sehr hübsch aus. Und dann blickt sie auf und sieht erst auf Anna, dann auf den Mann neben ihr…
    … und Anna versteht mit einem Mal alles. Joys Blick, Täufers Worte, seine Anwesenheit in der Wohnung, die Sache mit den Kassetten. Er ist ein hässlicher, alter, gefährlicher Mann, hat Joy gesagt. Und er hat über Marilyn gesprochen wie über einen Menschen, der ihm nicht erst als Leiche begegnet ist. Er ist hinter Joy her, weil sie ihn verraten könnte und weil er glaubt, dass sie die Kassetten besitzt. Jetzt hat er sie gefunden, dank Annas Hilfe.
    Nichts ist schrecklicher als der Zorn, der sich gegen einen selbst richtet. Also ist Anna eher wütend als ängstlich. Sie stellt sich vor Joy, die den Hörer auf die Gabel sinken ließ. Der Bulle lächelt, und es sieht gemein aus. Wie konnte sie ihn jemals für gütig halten?
    »Geben Sie auf, Anna, und trösten Sie sich damit, dass Ihre Bemühungen redlich waren. Aber ich muss die Zeugin jetzt mit in mein Büro nehmen. Sie wollen doch nicht einen Polizisten an der Ausübung seiner Pflicht hindern, oder?«
    »Nein«, sagt Joy hinter Anna. Sie hat die Stimme eines kleinen, hilflosen Mädchens, und Anna fühlt sich wie Marlowe und Mutter Courage.
    »Wenn Sie mit ihr die Wohnung verlassen, ruf ich die Polizei an«, erwidert sie mit einer Stimme, die sie für fest hält. Die Pistole, sie liegt irgendwo in dem Berg, den sie in den Flur geschoben hat. Täufer ist darüber hinweggestiegen, er hat sie nicht gesehen. Und die Tatsache ist nicht von der Hand zu weisen, dass sie die Waffe jetzt gebrauchen könnte. Denn sie hat sich mit ihrem Satz verraten, sie sieht es an seinem Blick. Er ist erstaunt, dieser Blick, vermutlich ob ihrer Dummheit, und auch ein bisschen angeekelt, weil er nun zwei Weiber am Hals hat, von denen er eine lieber mit Charme losgeworden wäre. Nie hat sie es geschafft, in kritischen Situationen den Mund zu halten. Gute Detektive sind die geborenen Verlierer. Im Film. Aber Filme enden meist gut, und dies hier ist die beklagenswerte Wirklichkeit.
    Johannes Täufer hat eine Waffe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher