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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love
Autoren: Christine Grän
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gelten als Versager, nur weil ihre Tugenden und Talente nicht in die Zeit passen. Andererseits ist Marlowe ein Kunstgeschöpf und sie die real existierende Verliererin. Pleite und nicht einmal im Besitz der Wahrheit. Die streunende Katze hat sie auch nicht gefunden, wofür sie von der untröstlichen Besitzerin auf dem Anrufbeantworter gescholten wurde.
    »Willst du etwas essen?« Sibylle glaubt, das Rezept gegen Annas Anflüge von Weltschmerz zu kennen. Und wenn sie so dasitzt, den Kopf in die Hände gestützt und den Blick ins Nichts gerichtet, ist dies ein sicheres Zeichen.
    »Danke, nein. Ich bin heute Morgen vor dem Kühlschrank ausgerutscht. Irgendeine Nachricht von Lily?«
    Sibylle schüttelt den Kopf. Nachdem sich Daniel beruhigt hat, neigt sie dazu, sich Annas Meinung anzuschließen: Lily ist verschwunden, und das ist gut so. »Das war doch der Schauspieler, wie heißt er noch?«
    »Benno Mackeroth. Er zählt zum Kreis der üblichen Verdächtigen, aber ich glaube nicht, dass er es war. Er will bloß Marilyns Tonbänder wegen der Schweizer Investoren.«
    »Muss ich das verstehen?«
    »Nein. Ich sollte jetzt nach Hause gehen und die Sache mit Joy hinter mich bringen. Aber irgendetwas sagt mir, dass ich hier bleiben und mich stattdessen betrinken sollte. Hab ich das zweite Gesicht?«
    Sibylle hat mit ihrer Schwester telefoniert, die ihr dringend empfahl, das Baby abzutreiben, weil die zweifache Mutter und vorbildliche Ehefrau der Meinung war, dass ein Kind nicht in ein Leben passe, wie es Sibylle führt. Es gibt ein Anwaltschreiben in Sachen Putzfrau, Freddy beleidigt die Gäste aus Liebeskummer, und in der Küche sitzt ein Koreaner und betet inbrünstig zu Gott, statt zu kochen. Anna hat ihr zweites Gesicht entdeckt, und das erste gibt keinen Anlass zur Freude. Es ist doch gut zu sehen, dass es auch anderen schlecht geht. »Denk an Italien, Anna, und tue, was eine Frau tun muss.«
    Anna beginnt zu lachen. »Du hast Recht. Das Leben ist schön. Besonders, wenn es so beschissen ist wie jetzt. Ich komm später vorbei. Schreibst du an?«
    Sie humpelt ein wenig beim Hinausgehen. Der große Zeh. Eine geringfügige Verletzung in Anbetracht all jener, die das Leben einem zufügen könnte.

24. Kapitel
     
     
     
    »Ich glaub das einfach nicht«, sagt Anna, und sieht von einem zum anderen.
    Fjodor hebt die Hände in einer operettenhaften Geste zum Himmel, der eine vergilbte Decke ist. Joy, geschminkt und in dem roten Lederrock, in dem Anna sie schon im Fernsehen gesehen hat, schlägt ihre Augen zu Boden. »Sorry«, sagt sie leise, denn sie ist ein kleines Mädchen, das nur ein paar Worte Englisch spricht.
    »Sie hat also die Kassetten in die Spree geworfen«, wiederholt Anna Fjodors Übersetzung.
    »Sie war in gigantischer Panik, Anna, das musst du verstehen. Ihre Freundin war abgemurkst worden, und sie lief vor der Polizei davon. Die Bänder waren gefährlich. Und Joy schlussfolgerte, dass es besser wäre, wenn sie absaufen.«
    Anna versucht, eine bequeme Stellung am Boden zu finden, während Fjodor und Joy auf dem Bett sitzen wie ein Paar nach dem Liebesspiel. Was ja nicht sein kann, denkt Anna, und dass die Vernichtungsvariante einiges für sich hat. So viel Gier, in Töne verewigt, hätte diese Stadt in Aufruhr gebracht. Die Politiker, die Produzenten und Prominenten wären in Panik geraten und hätten untertauchend dementiert, während die Medien in moralisierender Häme über sie hergefallen wären.
    Schade andererseits, denn es hätte auch Spaß gemacht. Anna hört auf Joys für sie unverständlichen Wortfluss und wartet geduldig auf weitere Enthüllungen in Fjodors Version, die der deutschen Sprache zumindest ähnlich ist.
    »Marilyn hat Joy mit den Kassetten weggeschickt, während sie ihren Freund in Empfang nahm. Sie dachte, das sei eine sichere Nummer, wenn das Corpus Delicti aus der Wohnung ist. Weil Marilyn nämlich in Furcht vor diesem Mann war. Er hatte ihr das winzige Gerät besorgt, weißt du, und er wollte abkassieren und dann mit Marilyn nach Mexiko abheben. Nicht zu viel Geld, von jedem einen entbehrlichen Obolus, aber in der Summe schon gewaltig. Na ja, und dann passierte der Irrtum: Er hat sie trotzdem geschubst, gläubig vermutlich, dass er die Bänder in der Bude finden würde. Als Joy zurückkam, war schon Tohuwabohu, und sie dachte, das Beste wäre, zu entschwinden und die Bänder zu entsorgen. Ist sie nicht ein kluges Mädchen, Anna?«
    »Wer ist der Mann, wie heißt er?«
    Fjodor übersetzt
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