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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love
Autoren: Christine Grän
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Zigaretten, die sie auf ihren Observationstouren raucht, aber auch den Kaffee und das Mineralwasser bezahlt Anna selbst. Vor allem deshalb, weil sie zu faul und zu schlampig ist, Belege zu sammeln. Ihre große Handtasche ist das Bermuda-Dreieck, in dem ohnehin alles verschwindet.
    Es muss ein großer Haufen gewesen sein, der auf dem Pflaster verstreut war, als sie zu Boden ging. Im Krankenwagen erzählte ihr der Notarzt, dass der Schläger alles eingesammelt habe, nach heftigem Streit mit einem Penner, der ihren Kugelschreiber enteignen wollte. Ein netter Schläger, dachte Anna, was einigermaßen absurd war, und als er sie mit einem großen Strauß gelber Rosen abholte und nach Hause fuhr, hatte sie ihm fast schon verziehen. Zerknirschte Männer haben etwas Rührendes, auch wenn sie gelbe Blumen nicht ausstehen kann.
    Er habe noch nie eine Frau verprügelt, sagte er, und Anna glaubte ihm. Und als er ihr zwei Fünfhundert-Euro-Scheine in die Hand drückte, als Spesenerstattung, wie er es ausdrückte, verstärkte sich dieser Glaube. Im Film hätte der Detektiv das Geld lässig zurückgewiesen. Anna steckte es in ihre Manteltasche. Man muss nicht stolzer erscheinen, als man ist. Aber auch nicht mehr als »In Ordnung« sagen.
    Am Ende der Fahrt, vor ihrer Haustür, erklärte er ihr noch, dass er seine Geliebte verlassen habe. Die anschließenden Treueschwüre klangen so verlogen, dass Anna doch ein wenig übel wurde. Als sie ausstieg, sah sie, wie er die russische Go-go-Tänzerin musterte, die unter ihr wohnt und auf dem Weg zur Arbeit war. Wir zwei sehen uns wieder, dachte sie und ging nicht in ihre Wohnung, sondern zum Optiker, wo sie eine dunkle Sonnenbrille kaufte, die größte, die es in dem Laden gab. Weil sie sich vorübergehend reich fühlte, fragte sie nicht nach dem Preis. Anna ist großzügig gegen sich selbst, und sie neigt dazu, ihre Schwächen zu Stärken zu erheben.
    Ihr Finanzgebaren ist insofern fragwürdig, als sie brutto gleich netto lebt, also nie etwas für die Steuer zurücklegt. Sie nennt es Anarchismus, aber zu Zeiten der Steuererklärung findet sie sich eher wahnsinnig. Anna hat einfach keinen Respekt vor Geld. Weiß, dass man es braucht, aber alles, was über die Erfüllung von Grundbedürfnissen und ein wenig Luxus hinausgeht, also auf einem Sparkonto liegt, findet sie unerotisch und leblos. Zahlen waren noch nie ihre Leidenschaft, und Rechnungen zu schreiben, findet sie fast ebenso schrecklich, wie sie zu bezahlen. Manchmal reduziert sie ihre Tagespauschale, bei den Sozialfällen, den verarmten Gehörnten, die ja auch ein Recht auf Wahrheit haben. Anna hat ein großes Herz, aber ein kleines Bankkonto.
    Das Veilchen sitzt links, und es schillert in allen Blautönen, eine Farbe, die ihr normalerweise steht, nur nicht da, wo sie jetzt ist. Deshalb die Sonnenbrille, die sie nur zum Waschen und Schlafen abnimmt. Es tut höllisch weh, wenn man die Augengegend berührt oder den Kopf hektisch schüttelt, was leicht zu vermeiden ist, denn eine große, träge Person neigt nicht zu quirligen Bewegungen.
    »Zuhälter?«, fragte der Mann, der sie im Krankenhaus verarztete, und sie erwiderte »Finanzberater«, was ihn nicht zu erstaunen schien. In Zeiten des knappen Geldes laufen Vertreter aller Branchen Gefahr, zu prügeln oder geprügelt zu werden. Der Arzt ähnelte ein wenig George Clooney. Seit sie geschlechtsreif ist, hat Anna versucht, einen Serienhelden im wahren Leben zu finden, doch scheint es, dass die Helden jenseits des Fernsehens ausgestorben sind. Als George Clooney sie fragte, ob es wehtue, lächelte sie ihn strahlend an. Frauen sind Idiotinnen, besonders eine, die sie recht gut kennt.
    Sie nimmt die Sonnenbrille ab, es kann sie ja keiner sehen, und vertieft sich in die Zeitung. Gelesene Seiten wirft sie in den Papierkorb unter dem Schreibtisch, der vom Sperrmüll stammt. Er wurde von der »Alternativen Werkstatt behinderter Ossis« aufpoliert. Berlin ist voller Überlebenskünstler, und die Marx ist eine von ihnen. Sie mag das Möbel, es ist groß und mahagonifarben und bietet Platz für Zeitschriften, Bücher, Akten und Rechnungen. Für den Laptop, den sie sich gekauft hat, bevor die Aktien in den Keller stürzten. Der Finanzberater ihrer Bank sagte: »Pech gehabt.« Warum hat sie ihm nicht ein blaues Auge verpasst? Ach ja, er hatte angerufen, und es wäre umständlich gewesen, in die Bank zu fahren, um ihn dort zu verprügeln. Also fluchte sie nur und nannte ihn eine seelenlose
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