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Marx, my Love

Marx, my Love

Titel: Marx, my Love
Autoren: Christine Grän
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Gewinner«, sprach sie und zeigte mit einem langen, rot lackierten Fingernagel auf Annas Sonnenbrille: »Und hier kommen Sie ins Spiel.«
    Anna, prinzipiell lieber aufseiten der Betrogenen und Verlierer, zuckte bei diesem Satz zusammen. Diese Frau hatte etwas von einer Dampfwalze, eine raffinierte, technisch ausgereifte Version, der man besser aus dem Weg gehen sollte, um nicht überrollt zu werden. Doch, Eichel sei’s geklagt, sie hat ihr Geld genommen. Und wer A sagt, muss auch B sagen. Ein Spruch ihrer verstorbenen Mutter. Sie war eine wunderbare Frau, die Anna zeit ihrer Kindheit mit Sätzen verfolgte, die sie für Lebensweisheiten hielt. Und so murmelte Anna, dass sie ihr Bestes tun wolle.
    Sie begleitete die Produzentin zur Tür, nachdem sie Harrys Briefe in Empfang genommen hatte. Kopien der Briefe, die sie sofort las. Lange Computerausdrucke, mit krakeliger Schrift unterschrieben: Harry listet minutiös auf, was vereinbart war, was er geleistet und wie die Produzentin ihn um sein Honorar betrogen hat. Wenn es stimmte, was er schrieb, dann hatte sie ihm in der Tat übel mitgespielt. Tausend Euro Ausfallhonorar für einen Serienentwurf mit Figuren- und Handlungskonzeption, das erschien Anna als böser Witz.
    Doch die Produzentin hielt dagegen, dass ihr kreativer Mitarbeiter, der bei den Gesprächen und der Abfassung der Treatments stets dabei gewesen war, den Löwenanteil der Arbeit geleistet habe. Harrys Forderungen entbehrten jeder Grundlage. Basta. Sie hatte es nicht für nötig befunden, auch nur einen von Harrys Briefen zu beantworten. Und so wurden die Schreiben, sechs waren es insgesamt, von Mal zu Mal anklagender, verzweifelter, bösartiger.
    Harry droht mit Anwälten und irdischer Gerechtigkeit bis hin zum Jüngsten Gericht. Anna hat die Briefe in ihrer Handtasche, und sie liest sie noch einmal, während sie auf sein Erscheinen wartet. Sie wird ihm nicht noch einmal ins »Kaffee Krause« folgen, das würde ihm auffallen. Sie will, wenn er aus dem Haus ist, in seinem Mülleimer wühlen und sich erst dann auf seine Spuren heften. Dass er kein Auto besitzt und zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, betrachtet Anna als Gottesgeschenk. Observierungen mit dem Wagen sind eine Katastrophe: Entweder verliert man die Zielperson im dichten Verkehr aus den Augen oder findet keinen Parkplatz. Detektive in Filmen haben es da eindeutig leichter, und Anna wäre besser in dieses Genre gewechselt. Vielleicht hat Rosi eine Rolle für sie, wenn Anna ihr Harry auf dem silbernen Tablett serviert?
    Blödsinn. Während sie wartet, notiert Anna in ihr kleines Buch, was sie bisher über Harry Loos gesammelt hat. 1968 in Hamburg geboren, Eltern geschieden, er wuchs bei seiner Mutter auf. Abitur, abgebrochenes Publizistik-Studium in München, Volontariat beim Norddeutschen Rundfunk. Harry war wohl immer schon ein schwieriger Zeitgenosse, denn als Redakteur hielt er nur drei Jahre aus, dann kündigte er und ließ sich in Berlin als freischaffender Drehbuchautor nieder. Anfangs war er recht erfolgreich, er schrieb ein paar Drehbücher für die Reihe »Tatort« und einige Beiträge für Krimiserien. Aber irgendwie, irgendwann schien er sich mit allen anzulegen.
    »Nie wieder Loos«, sagte eine NDR-Redakteurin, die Anna aus Bonner Zeiten kannte und die sie unter einem Vorwand anrief, um Fragen über Harry zu stellen.
    »Warum interessierst du dich für diesen Querulanten? Ist es beruflich oder sexuell?«, fragte die Redakteurin. Anna entschied sich für die erotische Lüge und erfuhr, dass Harry ein Genie mit Wahnsinnstendenzen sei. »Wenn du sein Manuskript kritisierst, kriegt er hektische rote Flecken, fängt an zu schreien und zerreißt sein Werk vor deinen Augen. Dabei ist er gut. Vielleicht zu gut fürs Fernsehen. Halt dich bloß fern von ihm, Anna. Der Mann kann dich nur herunterziehen.«
    So weit die Redakteurin, die Anna noch erzählte, dass sie sich von ihrem Mann getrennt habe und nun sehr glücklich sei. Ihre Stimme zitterte, als sie das sagte, und Anna gratulierte ihr. Es muss schön sein, mit fünfundvierzig endlich allein zu leben, sagte sie, und hörte ein Lachen, das ihr nicht gefiel.
    Ein Filmagent, den Anna über Sibylle kennt (ihre erotischen Abenteuer sind ein Quell von Informationen), urteilte ähnlich, wenn auch nicht so hart. Harry sei klug und kreativ, aber eben extrem rechthaberisch. Und das könnten die wenigsten Film- und Fernsehschaffenden ertragen, weil sie überwiegend dumm,
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