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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
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verfallen war. Es war aber ein so starker und so süßer Bann, daß sie garnicht versuchen wollte, dagegen anzukämpfen. Wozu auch? Es band sie keine andere Pflicht, sie brach niemandem die Treue; – sie setzte nur eines aufs Spiel: ihr eigenes Glück. Das Glück späterer Jahre. Nun, diesen Einsatz konnte sie wagen; war ihr das Glück der gegenwärtigen Stunde und der nächsten Zukunft sicher und fühlte sie doch, daß sie höchstes Glück gewährte, daß sie dem geliebten Freier mit ihrem »Ja« eine beseligende Gabe gereicht, während ihr »Nein« ihm schier unerträgliches Leid zugefügt hätte. Sie empfand, daß sie durch diese Verlobung aus der Alltäglichkeit in ein ungeahntes Fest – in eine Lebens-Sonntagsstimmung gehoben war, aus der sie nicht willkürlich sich herausreißen konnte, ehe die Festnummern absolviert waren, die auf dem rosa Programm prangten ...
    Lange noch stand Sylvia am offenen Fenster und sog die balsamische Nachtluft ein. Jeder Atemzug Freude, jeder Pulsschlag Lebensgenuß.

III.
    Martha hatte ihren Sohn bitten lassen, auf ihr Zimmer zu kommen, sie habe mit ihm zu sprechen.
    Rudolf folgte dem abgesandten Diener auf dem Fuße:
    »Was steht zu Befehl, Mutter?«
    Baronin Tilling saß in einem an ihr Schreibzimmer anstoßenden runden Erker. Der kleine Raum enthielt nur ein Miniatursofa an der linken Wand und einen niedern Schrank an der rechten. In der Mitte, dem Eingang gegenüber, Marthas Fauteuil, davor ein drehbarer Lesetisch, und rechts daneben ein zweites Tischchen. Auf diesem die Tageszeitungen, ein Arbeitskorb, Fächer, Flacon, Blumenvase und ein Photographierahmen mit Tillings verblaßtem Bild. An den Wänden hingen noch mehrere Bilder des verlorenen Gatten in verschiedenen Aufnahmen und Größen. Darunter auch ein gemaltes lebensgroßes Kniestück, von der Hand eines berühmten französischen Künstlers. Dieses Porträt war aber unvollendet. Begonnen im Sommer 1870, einige Wochen vor Ausbruch des Krieges, konnte es nicht ausgeführt werden, weil sich der Maler zu den Fahnen stellen mußte. Dennoch, so wie es war, zeigte es schon die sprechendste Ähnlichkeit.
    Der niedere Schrank, kunstvoll aus Ebenholz geschnitzt und mit Elfenbein eingelegt, war mit Andenken an Tilling bedeckt und angefüllt. Da standen zwei Kassetten aus oxydiertem Silber mit den gravierten Jahreszahlen 1864 und 1866. Es waren die Briefe, welche Tilling von den dänischen und den böhmischen Schlachtfeldern an seine Frau geschrieben, und in einem kleinen goldenen Kästchen lag der erste Brief, den sie überhaupt von ihm bekommen – geschrieben am Sterbelager seiner Mutter. In dem Schranke waren auch die blauen Hefte aufbewahrt, das sogenannte »Protokoll«, worin die Gatten im Verein die Chronik der Friedensidee eingetragen hatten.
    In diesem Winkelchen hielt sich Martha täglich mehrere Stunden auf; hier las sie ihre Bücher und Zeitungen, oder zog die Fäden einer Stickerei, dabei an den Verlorenen denkend.
    Mit den Worten: »Was steht zu Befehl?« küßte Rudolf seiner Mutter die Hand. Dann setzte er sich auf das kleine Sofa.
    Wohlgefällig blickte Martha auf ihren Sohn – ein Bild männlicher Jugendfrische und Vornehmheit. Er trug einen lichten, sommerlichen Morgenanzug, der seine sonngebräunte Hautfarbe noch dunkler erscheinen ließ. Tiefschwarz das kurzgeschorene, in drei Zacken in die Stirn gepflanzte Haar; schwarz der schmale Schnurrbart, der den schöngezeichneten Mund frei läßt, schwarz auch und leicht gekräuselt der spanisch zugestutzte Kinnbart. Nur die dicht bewimperten Augen unter den dunklen Brauen sind blau. Edelgeformt das Profil; die Gestalt geschmeidig und schlank und beinahe sechs Fuß hoch, aristokratische Hände und Füße. – Mit Recht galt Rudolf Dotzky als einer der hübschesten Männer des an schönen Männererscheinungen nicht armen österreichischen Hochadels. So ungefähr hatte auch der junge Husar ausgesehen, der das Herz der siebzehnjährigen Martha Althaus im Fluge erobert hatte. Die Züge waren jedenfalls ähnlich, jedoch viel durchgeistigter. Und in Sprache und Tonfall hatte Rudolf vieles von seinem Stiefvater angenommen, so waren ihm manche seiner Bewegungen, seine Art zu lachen und ein paar norddeutsch anklingende Redewendungen hängen geblieben.
    »Ich wollte mit Dir über zwei wichtige Dinge sprechen, Rudolf.«
    »Auch ich will Dir eine Mitteilung machen. Doch nachher ... Zuerst Du...«
    »Also, erstens: Delnitzky hat um Sylvias Hand angehalten.«
    »Habe mir's
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