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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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erfüllt hätte, die ich von meinem Vater übernommen –«
    »Von Deinem Vater? –«
    »Ach, verzeih – meinen wirklichen Vater habe ich ja nicht gekannt und in meinem Heizen habe ich stets diesen« – er zeigte auf das Bild an der Wand – »so genannt.«
    »Das hat er auch verdient...«
    »Und billigst Du meinen Entschluß?«
    »Ich sagte schon: er beglückt mich. Nur das eine fürchte ich: – daß Du ein zu weites Feld bebauen willst, und dadurch vielleicht gerade die Pflanze vernachlässigen wirst, deren Pflege »er« mit einem Blick auf das Bild – »uns hinterlassen hat. Ich meine jene ganz bestimmte, umgrenzte Bewegung –«
    »Ich weiß, was Du meinst: Schiedsgericht – Weltfrieden– – und das nennst Du umgrenzt? Es bedeutet nichts geringeres als die Umwälzung aller landläufigen Erziehung, Politik, Moral, Gesellschaftsordnung – kurz, eine ganze Revolution. Und bemerkst Du nicht, daß wir in einer Zeit leben, in welcher auch wirklich auf allen Gebieten revolutioniert wird? Seit zehn Jahren etwa ist in Deutschland eine »Revolution der Literatur« ausgebrochen; die bildende Kunst nennt ihren Aufstand »Sezession«; die Frauen heißen den ihrigen Emanzipation und die Proletarier – Sozialdemokratie, und so nach allen Seiten – –«
    »Nicht jeder, der eine neue Zeit ersehnt, braucht aber auf allen Seiten mitzuarbeiten. Jeder hilft dem andern am besten, wenn er die eigene Aufgabe gut erfüllt.«
    »Du, Mutter, interessierst Dich eben nur für die eine Frage – und nicht für den Umschwung in Literatur und Kunst – nicht für die Frauen- noch Arbeiterbewegung?«
    »Interessieren? Doch? Wer am Wandel der Zeit Anteil nimmt, der horcht und blickt überall mit Spannung hin ... aber kämpfen und wirken, das möchte ich nur in einer Richtung – und wie Du weißt, so weit meine Kräfte reichen, habe ich's ja durch die Niederschrift meiner Lebensgeschichte auch versucht ... In anderer Richtung fehlt mir das Verständnis – die Auffassungskraft. So gestehe ich Dir, daß mich die neue Kunst vielfach abschreckt ... daß ich noch an allem hänge, was ich in meiner Jugend als bewunderte und als gut kennen gelernt ... Ich habe nicht versucht, aus Sylvia eine »neue Frau« zu machen; ich bin zu alt, um zu –«
    »Vielleicht ist das der Unterschied zwischen uns,« unterbrach Rudolf. »Ich bin jung ... Ich bin aufgewachsen in der gärenden Atmosphäre, in dem Sturm der »Moderne« ... Freilich wehte mich dieser Sturm zumeist nur aus Büchern und Zeitungen an, – denn die Menschen, mit denen wir verkehren, die leben noch so sehr in den alten Anschauungen und Gewohnheiten, die wissen gar nicht, daß die Welt sich bewegt. Höchstens fühlen sie, daß ein miserabler Plebs an der schönen alten Ordnung zerren will – und das wehren sie verächtlich ab. Bis auf den alten Grafen Kolnos kenne ich aus unseren Kreisen gar keinen Menschen mit modernen Ideen. Es gibt deren gewiß ein paar Dutzend, aber ich kenne sie eben nicht.«
    »Von Kolnos habe ich heute einen lieben Brief bekommen,« sagte Martha. »Der ist wirklich ein merkwürdiger und herrlicher Typus. Aber nicht, was ich unter modern verstehe: nichts von Dekadententum, nichts von raffiniertem Übermenschentum, nichts von tempelschänderischen Gelüsten.«
    »Du mußt nicht gerade die krankhaften Erscheinungen des modernen Geistes ins Auge fassen, Mutter –«
    »Freilich, Du hast recht; die meisten Mißverständnisse kommen auch daher: jedes Ding hat so verschiedene Aspekte – und zwei Menschen, die im Grunde eigentlich gleicher Meinung wären, streiten über eine Sache, für die sie nur einen Namen haben, die sie aber von zwei ganz verschiedenen Seiten betrachten ... Wovon sprachen wir eigentlich?« »Von Kolnos –«
    »Ja, richtig ... Wo habe ich seinen Brief? – Ah, da... er hat mir sein neuestes Gedicht geschickt... da lies: er kennt meine schwache Seite, wie Du siehst, sein Lied ist gegen die Kanonen gerichtet.«
    Rudolf nahm das Blatt und überflog es. Das dreizehn Strophen umfassende Gedicht, betitelt: »Nach X-tausend Jahren«, schildert eine Szene der fernen Zukunft, da man in dem vergletschert gewesenen Europa alte Funde ausgräbt und darüber Forschungen anstellt, um den Lauf der Kulturentwicklung zu erkunden:
Gelehrte schreiben dicke Bücher
Und streiten sich wie heute auch,
Um Wert und Schönheit der Antike
Und ihrer Werke Nutzgebrauch.
     
    Nun findet man ein rätselhaftes Instrument, über dessen Bestimmung man sich die weisen Köpfe

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