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Mark Brandis - Testakte Kolibri

Mark Brandis - Testakte Kolibri

Titel: Mark Brandis - Testakte Kolibri
Autoren: Mark Brandis
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Grenzen suchten? Die Geschichte der Menschheit war voller Beispiele dafür.
    Zum erstenmal, seitdem ich einen Kolibri flog, ging ich nach dem Eintritt in die Erdatmosphäre nicht auf Sollposition, wozu nach der Einstellung der Versuche keinerlei Anlaß mehr bestand, sondern nahm unverzüglich Kurs auf Espiriti Santu.
    Der Anblick des Ozeans, über den ich dahinzog, löste keinerlei verdrängte Ängste mehr aus. Unter seinem glatten, heiteren Spiegel lauerten auf mich heute keine Gefahren.
    Der Landeplatz tauchte auf. Die Nummer Vierzehn beschrieb eine Spirale und tauchte ein in eine Wolke aus Staub. Ich stellte das Triebwerk ab, schaltete alle Aggregate auf Null , löste mich aus meinen Gurten und ging von Bord.
    Meine Landung war bemerkt worden. Ein Transporter, gelenkt von einem der neuen Piloten, hielt auf mich zu.
    Ich sah ihm entgegen, ließ mir die frische Brise ins Gesicht wehen und atmete den Geruch der See in mich ein. Der Transporter hielt. Ein letztes Mal berührte ich meinen Kolibri . Ich berührte ihn, wie ihn vor langer Zeit einmal Burowski berührt hatte, dieser blonde Dichter unter den Sternen, nur daß meine Berührung diesmal keinen gütlichen Zuspruch enthielt, sondern den Abschied bedeutete.
    Meine Arbeit war getan, das Projekt, das ich so lange geleitet hatte, abgeschlossen. Ich war frei. Mochte ein anderer die Nummer Vierzehn weiterfliegen und vielleicht bei irgendeiner Gelegenheit mit einem Gefühl der Dankbarkeit jener gedenken, die an diesem unfehlbaren Instrument gearbeitet hatten.
    »Sir –«
    »Ich komme.«
    » Kolibri -Tower versuchte, Sie zu erreichen –«
    »Sehen Sie sich meine Antennenanlage an!«
    »Es handelt sich um die Nummer Sieben, Sir.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Romen hat sie vor einer halben Stunde alarmgestartet, Sir, aus Tiefe Drei-Drei.«
    Oft genug hört man Leute sagen: ‚Ich fühlte mich wie betäubt‘, und oft genug ist das nichts als Übertreibung, nichts als die unbedachte Benutzung eines geläufigen Wortes. In meinem Fall traf es zu.
    Nichts war dem warnend vorausgegangen: kein Gefühl, keine Vorahnung. Der Flug der Nummer Sieben , der letzte vollständige Testflug im Rahmen des Kolibri -Projektes, das es seit zwei Stunden offiziell nicht mehr gab, hatte mit einer Katastrophe geendet.
    Irgendwie gelang es mir, im Transporter Platz zu nehmen.
    »Vor einer halben Stunde?«
    »Ja, Sir. Es war nicht zu vermeiden. Forester mit seinem U-Boot war zu weit entfernt. Er soll abgezogen worden sein, heißt es.«
    »Die Testflüge sind eingestellt, seit zwei Stunden. Ich konnte es noch nicht durchgeben.«
    »Mein Gott!«
    Der junge Pilot blickte hoch in die Bläue. Dort gab es nichts mehr zu sehen. Der Himmel war makellos, ohne eine einzige Wolke – und ohne Rauch.
    »Wohin darf ich Sie bringen, Sir?«
    »Besteht noch Verbindung mit ihm?«
    »So viel ich weiß, ja, Sir.«
    »Dann zum Tower!«
    Grischa Romen, der verrückte Zigeuner, der vorletzte meines alten Teams! Mein Mund war trocken. Ein paarmal wollte ich etwas sagen, aber ich brachte keinen Laut über die Lippen. Der Transporter fauchte über den Platz und hielt dann auf den Tower zu: eine überflüssige, eine sinnlose Fahrt. Die Entscheidung war längst gefallen. Nichts ließ sich mehr ändern. Ich kam zu spät.
    Im Tower empfingen mich – wie so oft schon – blasse, verstörte Gesichter, empfing mich die gewohnte gedämpfte Hilflosigkeit von Menschen, die eine Tragödie miterleben, ohne unmittelbar von ihr betroffen zu sein. Auch Pieter Jordan war da.
    »Gut, daß Sie endlich kommen, Sir«, sagte er. »Er hat nach Ihnen verlangt.«
    Die Sonne war untergegangen. Die ersten Sterne leuchteten auf. Und irgendwo unter ihnen, eingehüllt in ihren kalten, mitleidlosen Glanz, war Grischa Romen mit der Nummer Sieben unterwegs – hinausgeschleudert in das Nichts von einem blockierenden Triebwerk, das auf maximale Leistung geschaltet war.
    »Ist er noch dran?«
    »Manchmal ja, manchmal nein.
    Es gab nichts mehr, was ich für Grischa Romen tun konnte, aber er hatte nach mir verlangt, und seinem letzten Wunsch durfte ich mich nicht entziehen.
    Ich schaltete mich ein – mit jener beiläufigen Bewegung, mit der man dies zu tun pflegt.
    »Kolibri-Tower ruft die Nummer Sieben . Brandis spricht. Können Sie mich noch hören, Romen? Kommen!«
    Grischa Romen antwortete nicht, und schon glaubte ich, es hätte ihn bereits so weit hinausgetragen, daß alles Bemühen vergeblich war – da vernahm ich ihn. Irgendwo, weit, weit von
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