Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
Vom Netzwerk:
abgereist. Sie hatte vor Wut getobt und sich die Augen aus dem Kopf geweint, hatte mit den Füßen nach den Möbeln getreten und unfreundliche, ganz abscheuliche Dinge zu Mrs. Duckett, der Putzfrau, gesagt. Die war zwar taub, verschaffte ihr aber immerhin die Genugtuung, ein Publikum zu haben, ohne das die leidenschaftlichsten Zornesausbrüche unbefriedigt bleiben mußten.
    Mary neigte dazu, jede Enttäuschung als persönliche Kränkung aufzufassen, und ihre Frage war immer , worauf Onkel Goeffreys Antwort, die sie stets von neuem erboste, lautete
    All das gehörte der Vergangenheit an; Großvaters Tod lag lange zurück, und dieses Mal waren sie nun wirklich unterwegs. Mary saß da, die Comics ungeöffnet auf dem Schoß, und beobachtete, wie die Puppenhäuschen der Vororte verschwanden und dem herrlichen Grün der Landschaft Platz machten, der Landschaft mit den verschiedenartig geschnittenen Feldern und den Kühen, die den Zug anstarrten, in dem Mary vorbeibrauste wie eine Königin auf der Fahrt in ihr Königreich. Plötzlich versperrte ihr eine Schlackenböschung die Aussicht. Auf dem rußigen Untergrund wuchsen, ja, wahrhaftig, dort wuchsen Schlüsselblumen. Mit ihren sternenförmigen Büscheln luden sie ein zu verweilen und den zarten, reinen Blütenduft zu atmen, aber der Zug hatte nichts übrig für derlei Anblicke und ratterte gewichtig, wie von einem Magneten angezogen, gen Westen.
    Nun fiel die Böschung steil ab, und anstelle der Felder sah man jetzt die ersten Häuser einer Stadt. Reihen von grauen Schieferdächern, die parallel zu dem fahrenden Zug verliefen, kündeten an, daß man sich einer Station näherte, aber die Lokomotive — ihrem fernen Ziel zueilend — schien das Tempo eher zu beschleunigen als zu verringern. Signalwärterhäuschen, Güterwagen, fensterlose Backsteinschuppen tauchten auf, schienen dem Zug etwas zuzubrüllen und fielen wieder zurück. Der schräg ansteigende und dann horizontal verlaufende Bahnsteig eilte neben dem Zug her; blasse, neugierige Gesichter, Regenmäntel, das Mondgesicht einer Uhr traten für einen kurzen Augenblick in Erscheinung, während der Zug durchbrauste und sein Pfeifen wie eine Fahne hinter ihm herflatterte. Immer mehr Dächer flogen vorbei, ein flüchtiger Blick fiel hier auf eine dralle Frau mit vorgebundener Schürze, dort auf Wäsche, die auf einer Leine hing und sich im Wind blähte, und jetzt kam man an kreuz und quer durcheinanderstehenden Fabrikgebäuden und drei Gasometern vorbei, auf deren runden Kappen die Morgensonne glitzerte. Die Böschung stieg an, und wieder war sie mit Schlüsselblumen übersät, bis sie abermals versank. Mary wußte, jetzt würde es über eine Stunde lang fast ununterbrochen durch grüne Wiesen und Wälder gehen. Sie saß mit baumelnden Beinen, die noch nicht ganz auf den Boden reichten, hatte einen Ellbogen auf die Armlehne gestützt, und ab und zu lehnte sie die Stirn an die schmutzige Fensterscheibe, ganz betäubt von dem stampfenden Rhythmus des Zuges und all den Herrlichkeiten, die an ihren Augen vorbeiflogen. Jedes Feld, jedes kleine Wäldchen, jedes halbversteckte Bauernhaus sah aus, als könnte man dort glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage leben.
    Die Telegrafendrähte schwangen sich in die Lüfte, wurden von jedem Mast wieder zurückgeholt und versuchten immer aufs neue, wenn auch vergeblich, außer Sicht zu gelangen, bevor der nächste Mast herankam. Nur undeutlich nahm Mary die Geräusche hinter sich im Abteil wahr: Das Dahinplätschern der Unterhaltung zwischen ihrer Mutter und dem alten Herrn und das gelegentliche Rascheln, wenn die Frau mit dem Häkelhütchen ihre Zeitung umblätterte, wobei sie sich jedesmal mit einem kurzen, trockenen Laut räusperte, so, als ob sie sich sehr gelangweilt fühlte.
    Mary kannte jedes Wahrzeichen auf dieser Fahrt. Hier kam eine ihr vertraute Böschung, auf der sich geheimnisvolle, riesige Buchstaben aus kleinen Steinen befanden. Die Böschung zog sich endlos hin, aber gerade als Mary wie auf jeder Fahrt dachte, die hört wohl nie auf, stürzte sich der Zug mit schrillem Pfeifen jäh und geräuschvoll in das Dunkel eines Tunnels, und irgend jemand trat ihr bei dem Versuch, das Fenster zu schließen, auf die Füße. Sie wußte genau, wie lang der Tunnel war, und sie wußte, was sie in dem Augenblick sehen würde, wenn sie herauskamen. Man mußte ganz schnell hinsehen, sonst verpaßte man es,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher