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Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
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fühlten, sie anzurufen oder zu jeder beliebigen Stunde bei ihr vorbeizukommen, um sie in ihrer Einsamkeit aufzuheitern.
    Sie hörte direkt, wie die Frauen zu ihren Männern sagten: «Wir müssen unbedingt etwas für die arme Mary tun. Die Dienstboten haben zwar eine Menge Arbeit gehabt in letzter Zeit, und meine kleine Butterreserve werde ich auch opfern müssen, aber das hilft alles nichts.» Und dann würden sie zum Telefon greifen und sagen:
    «Bitte denk immer daran, daß du jederzeit zu uns kommen kannst, du würdest uns sonst wirklich kränken. Wann willst du in der nächsten Woche bei uns essen? Montag, Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag...?»
    So war sie also mit Bingo zu einem langen einsamen Wochenende nach Little Creek End hinausgefahren. Hier gab es nur sie und den Hund und tausend Erinnerungen an die Wochenenden, die zwei Menschen und ein Hund in dem abgelegenen Cottage in der Heide von Essex verbracht hatten.
    «Du bist verrückt, in diese Einöde zu fahren», hatte ihre Mutter erklärt. «Es wäre viel besser, du kämst zu Gerald und mir, wenn du deprimiert bist. Da unten vergräbst du dich doch nur in deine Gedanken.»
    Ihre Mutter verstand nicht, daß es ja gerade ihr Wunsch war, sich in ihre Gedanken zu vergraben. Sie wollte gar keine Zerstreuung. Sie wollte die Zeit des Wartens mit ihren Gedanken an ihn ausfüllen und sich von allem fernhalten, so, als müßte sie sich für ihn bis zu seiner Rückkehr bewahren.
    Die Menschen waren nett, freundlich und amüsant, aber sie glaubten, daß freundschaftliche Verbundenheit und Konversation ein und dasselbe seien, und manche von ihnen hatten Stimmen, die ihr auf die Nerven gingen. Hunde waren da ganz anders. Sie waren voller Verständnis, ohne es ausdrücklich mitzuteilen, und sie boten immer einen erfreulichen Anblick, ob sie wach waren oder schliefen, wie Bingo jetzt. Mit kleinen, pfeifenden Schnarchtönen schlief er in seinem Korb neben dem Kaminfeuer, seine kurzen, untersetzten Beinchen und eine der buschigen Augenbrauen zuckten im hektischen Rhythmus seiner Träume. Ihm gegenüber hatte sich Mary behaglich in einen Sessel zurückgelehnt, neben sich auf der Armlehne eine Tasse Kaffee. Ihr seidener Morgenrock war von den übereinandergeschlagenen Knien herabgeglitten, und ein Pantöffelchen balancierte auf der großen Zehe. Dort, wo der Schein des Kaminfeuers und der Petroleumlampe, die neben ihr stand, den Raum nicht mehr erhellte, lag er im Dunkel; aber es war nicht die Art Dunkelheit, in der man immer wieder scheu hinter sich blickt, sie war von sanfter, unaufdringlicher Freundlichkeit, und die unsichtbaren Gegenstände warteten nur darauf, wieder gebraucht zu werden. Draußen steigerten sich Regen und Wind zu einem sinnlosen Furioso. Wie seltsam, dachte Mary, daß nur ein Stückchen Mauerwerk die ruhige Geborgenheit ihres Wohnzimmers von der sturmgepeitschten, regennassen Nacht trennte. Häuser hatten etwas Aufrechtes, Trotziges an sich.
    Sie hatte ihr Abendbrot vor dem Kamin gleich vom Tablett gegessen, hatte beim Essen gelesen, und ihr Buch lag noch aufgeschlagen auf ihrem Schoß; aber ihr Blick wanderte immer wieder zu den Flammen, die aus der Glut emporflackerten und die schwarze, unverbrannte Kohle umzüngelten. Morgen werde ich Holzscheite im Schuppen trocknen und ein Holzfeuer machen, dachte sie. Ihre Finger drehten mechanisch an einer Strähne ihres dichten, dunklen Haares, das locker fast bis auf ihre Schultern fiel. Es war eine Ewigkeit her, seit sie beim Friseur gewesen war und es richtig hatte legen lassen. Es schien ihr im Augenblick ganz überflüssig, mehr für ihr Äußeres zu tun als unbedingt notwendig war.
    Sie war klein und zart, ihr Gesicht mit den mandelförmigen tiefliegenden Augen war sehr blaß. Um ihren Mund lag meist ein kleiner melancholischer Zug, aber sie konnte unbekümmert und herzhaft wie ein Junge lachen.
    Sie warf einen Blick auf die Wanduhr, die wie ein weißblauer Porzellanteller aussah. In London würde sie um diese Zeit, wenn der Deckel des Briefschlitzes klappte, in die Diele stürzen, um nach einem quadratischen, weißen Briefumschlag zu sehen, nach einem Briefumschlag, der schräg über eine Ecke den Stempel «Königliche Marino trug.
    Wenn nun heute abend ein Brief käme? Dann würde sie ihn vor Dienstag nicht lesen können. Es war niemand da, der ihn ihr nachschicken konnte, denn sie hatte Doris das Wochenende für einen Besuch bei ihrer Familie in Dalston-East freigegeben.
    Im Geist sah sie den Brief
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