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Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
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ganz deutlich vor sich. Er lag ein bißchen verkrumpelt gleich hinter der Eingangstür und hob sich sehr weiß von der dunklen Matte ab. Je mehr sie daran dachte, desto mehr war sie davon überzeugt, daß er da war. Das Wartenmüssen war qualvoll, warum hatte sie nicht vorher daran gedacht. Wenn der Brief nun eine wichtige Nachricht enthielt?
    Sie setzte sich auf, klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch. Ich werde Angela anrufen, dachte sie, und sie bitten, gleich morgen hinzugehen und nachzusehen, ob etwas da ist. Sie weiß, wo der Schlüssel zur Hintertür versteckt ist, unter dem Blumentopf. Es mag töricht sein, aber ich kann einfach nicht warten. Es könnte ja auch etwas drinstehen, worauf er sofort eine Antwort haben möchte.
    Etwas mühsam erhob sie sich aus dem Sessel. Sie war steif von dem langen Spaziergang in dem feuchten Wetter, den sie mit Bingo am Nachmittag gemacht hatte, bevor der Wind sich zu einem richtigen Sturm entwickelt hatte. Bingo öffnete ein Auge und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden, als sie die Lampe ergriff und in die andere Hälfte des Zimmers hinüberging, wo unter der Balkendecke früher einmal eine Wand gestanden hatte. Es war kalt ohne die Nähe des Feuers. Das Telefon stand auf dem Tisch am Fenster, und während sie den Hörer abnahm, hörte sie das Prasseln des Regens an den Scheiben und den Sturm, der den weiten Weg über die Heide gekommen war und jetzt um ihr Haus heulte.
    Die Telefonleitung war tot.
    «Hallo... Hallo...», sie drückte die Gabel mehrmals auf und nieder, aber kein weibliches Wesen legte mißmutig sein Strickzeug beiseite, um sich mit vorwurfsvoller Stimme zu melden: «Weatherby... die Nummer biiit-te.» Kein Summen, alles war ganz still. Verdammt. Sie ging zurück, ihre Pantöffelchen klapperten auf dem Holzfußboden. Sie stieg über Bingo hinweg und setzte sich wieder. Mit lang ausgestreckten Beinen, das Kinn auf die Brust gesenkt, die Stirn gerunzelt, lehnte sie sich im Sessel zurück und überlegte. Es war eigentlich kein Grund zur Aufregung, und es konnte auch kaum schon wieder ein Brief von ihm da sein, so schnell nach dem letzten, aber ärgerlich war es doch. Morgen früh würde sie zur Kreuzung hinunterlaufen, den Bus ins Dorf nehmen und von dort aus telefonieren. Da war noch Zeit genug, denn heute abend konnte der Brief in keinem Fall mehr nachgeschickt werden. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und griff wieder zu ihrem Buch. Ja, gleich morgen früh würde sie das machen. Hoffentlich ist morgen schönes Wetter, dachte sie.
    Als die blau-weiße Telleruhr mit ihrem beruhigenden Ton neun schlug, streckte Mary automatisch die Hand aus und stellte das Radio an. Es knackte im Apparat. Ich müßte ihn mal nachsehen lassen, dachte sie, und die ersten Worte des Sprechers klangen an ihr Ohr, ohne daß sie zuhörte. Aber es ist so...
    «Die Admiralität bedauert, bekanntgeben zu müssen, daß der britische Zerstörer auf eine Mine aufgelaufen und heute früh gesunken ist. Eine Anzahl Überlebender wurde von zwei Handelsschiffen, die auf die SOS-Rufe herbeigeeilt waren, an Bord genommen. Es wird befürchtet, daß drei von den sieben Offizieren und zwanzig Angehörige der Mannschaft ums Leben gekommen sind. Die Angehörigen der Vermißten sind benachrichtigt worden. Die , die im Jahre 1927 vom Stapel lief, war ein 1300-Tonnen-Zerstörer der Klasse X...»
    Mary streckte die Hand wieder aus und stellte das Radio ab, und als die Worte abrissen, schien nichts mehr darauf hinzuweisen, daß sie überhaupt gesprochen worden waren. Sie saß noch immer im gelblichen Lichtschein der Tischlampe, die halbleere Kaffeetasse stand auf der Sessellehne. Das Feuer flackerte noch orangefarben und gelb mit kleinen aufzuckenden Flämmchen, die zwischen der Kohle hervorschossen. Bingo schlief noch, seine Beine lagen so, als ob er rannte, der Kopf war nach der Seite gedreht, und ein Ohr stand steil in die Höhe. Die blau-weiße Uhr tickte ruhig weiter. Nichts hatte sich geändert, und doch war plötzlich alles anders geworden. Der Sturm hatte vorübergehend nachgelassen, und es war eine Stille in der Luft, als wartete der Raum mit angehaltenem Atem, wie Mary es aufnehmen würde. Während sie so dasaß und — wie vor Kälte innerlich erstarrt — langsam zu begreifen begann, sagte sie sich unaufhörlich, aber mit immer schwächer werdender Überzeugungskraft: «Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr.»
    Die Angehörigen sind verständigt worden. Es
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