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Mariana

Mariana

Titel: Mariana
Autoren: Monica Dickens
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Großpapa>, weil ihr Geburtstag und Weihnachten stets auf die gleiche Weise gefeiert werden mußten, und weil ihre Gewohnheiten, auf eine ganz bestimmte Art ins Bett zu klettern und zur Schule immer nur auf derselben Seite zu gehen, nicht angetastet werden durften. Von allen Erwachsenen war für Mary ihre Mutter die unterhaltendste Gesellschaft. Mrs. Shannon war das freundlich gönnerhafte Gebaren, das viele Leute Kindern gegenüber haben, ganz fremd. Genau wie sie es bei den Erwachsenen tat, sagte sie zu ihnen alles, was ihr gerade in den Sinn kam, und mit ihren komischen Bemerkungen hatte sie immer ungeheuren Erfolg. Ihr Nachahmungstalent machte Mary großen Spaß, und Onkel Geoffrey und sie kugelten sich manchmal am Boden vor Lachen, wenn ihre Mutter eine ihrer Vorstellungen gab.
    «Aufgeregt, mein Hase?» fragte Mrs. Shannon, als Mary mit ihrem zweiten Krug Ingwerbier an den Tisch zurückkam. «Ich bin neugierig, ob Denys schon dort ist», fügte sie beiläufig hinzu, «Tante Mavis sagte, sie wüßte noch nicht, ob sie in dieser oder erst in der nächsten Woche fahren würden.»
    Mary lief rot an, wie immer, wenn jemand plötzlich, ohne daß sie darauf vorbereitet war, Denys Namen nannte, und sie nahm einen tiefen Schluck, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Denys war ihr um zwei Jahre älterer Vetter, der nicht nur alles tausendmal besser konnte als sie, sondern der überhaupt ganz fabelhaft war. Er und Mary waren .
    Obwohl Mary sich Mrs. Shannon nicht anvertraut hatte, war ihr diese Romanze nicht entgangen, und sie konnte sich ein gelegentliches Auf-den-Busch-Klopfen nicht versagen.
    «Im übernächsten Semester geht er nach Eton. Bates sagt, er frißt einen Besen, wenn Denys nicht in die Kricketmannschaft kommt», sagte Mary und blickte ehrfurchtsvoll über den Rand ihres Glases, denn die Worte von Bates, dem Obergärtner, tropften wie kostbarer Wein von seinen Lippen.
    «Und du ziehst dann ein zartes, duftiges Kleid an, setzt einen großen, weichen Hut auf, gehst zu Lord’s und siehst ihm beim Spiel Eton gegen Harrow zu. Allerdings...» setzte Mrs. Shannon hinzu, während vor Marys Augen dies verlockende Bild erstand, «nicht mit einem großen, schwarzen Rußfleck auf der Nase.» Sie fischte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und befeuchtete eine Ecke mit der Zunge. «Komm, halt mal still», sagte sie und widmete sich, die Zungenspitze zwischen den Lippen, mit liebevoller Aufmerksamkeit der Nase ihrer Tochter.
    Als sie mit dem Essen fertig waren, schlenderten sie hinaus und spazierten in der Sonne bis ans Ende des fast leeren Bahnsteigs, wo er schräg nach unten auf die mit Schotter ausgefüllten Gleise führte. Bevor sie umkehrten, streckte Mary, um den Weichensteller ein bißchen zu foppen, rasch einen Fuß aus und tat, als wolle sie das verbotene Gelände betreten. Die Luft war erfüllt von allerlei freundlichen Lauten und Geräuschen: Von dem gemächlichen Rhythmus ihrer Schritte auf den Steinen, von dem Gezwitscher der Vögel in den Ulmen jenseits der Gleise, von dem Bellen eines Hundes in einem Bauernhaus und von dem gelegentlichen Klappern leerer Milchkannen, die ein Mann für den Zug nach Yarde bereitstellte. Mrs. Shannon setzte sich auf eine Bank, deren Rückenlehne ein Desinfektionsmittel für Schafe anpries, und steckte sich eine Zigarette an. Mary kletterte derweil in die saubere kleine Box für das Vieh und gab vor, ein Pferd zu sein; dazu mußte sie ganz still und unbeweglich stehen und durfte sich nur innerlich als Pferd fühlen, ohne es durch irgendeine Bewegung anzudeuten.
    Als die Kleinbahn nach Yarde, von der Lokomotive geschoben, träge angekrochen kam, stieg sie eiligst ein, obwohl es bis zur Abfahrt mindestens noch eine Viertelstunde dauern würde, wenn nicht länger, falls es dem Lokomotivführer nämlich einfiele, noch auf einen guten Freund zu warten. Der Zug hatte nur zwei Wagen, die Sitze waren — wie in der U-Bahn — an der Seite, und die Reisenden, die langsam hereintröpfelten, waren gänzlich verschieden von denen des Zuges in London. Da stieg ein Farmer mit einem Bart und hohen Ledergamaschen ein, seine Weste über dem kragenlosen Hemd stand offen; Bauersfrauen mit ihren besten schwarzen Strohhüten; ein Mann in einem Tweedanzug und passender Mütze mit einem bezaubernden schwarz-weißen Spaniel, der ganz traurige Augen hatte.
    «Komisch», sagte Mrs. Shannon und renkte sich fast den Hals aus, um aus dem Fenster zu sehen, «sonst ist doch immer jemand im Zug,
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