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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Autoren: Nicole Joens
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Jackett und Hemd aus, wirft beides weg und legt sich mit ausgebreiteten Armen neben das Marterl. Der Todesengel soll kommen und ihn holen. Einen Moment erschrickt Joe vor seinen Worten, aber es ist wahr. Er will schon lange nicht mehr leben, hatte nur nicht den notwendigen Mut, um endlich Schluss zu machen. Aber in dieser Nacht fühlt er sich stark genug für den Abschied aus seiner Trostlosigkeit. Konsequent trinkt er den letzten Rest Obstler auf einmal. Dann wartet er auf sein Ende. Es dauert nicht lange, bis man erfriert. Zudem ist es ein sanfter Tod, vielleicht sogar ein feiges Ende. Man schläft einfach nur ein. Worte wie Erbsünde, ewige Verdammnis und Hölle tauchen an seinem nebliger werdenden inneren Horizont auf, als er mit letzter Kraft auf das Kruzifix einschlägt. Dann lässt Joe sich zurücksinken, Augen geöffnet, den Blick ins Schwarze gerichtet, ruft er das Wesen mit den dunklen Schwingen, das auslöschen soll, was zu qualvoll geworden ist. Joe würde weinen, aber er kann nicht. Weinen erinnert Joe an sein Kindsein, an Gräber mit kleinen Marmorengeln und dem ungewissen Gefühl, durch seine Existenz für etwas bestraft zu werden, was er gar nicht getan hat. Karma. Schicksal. Sehnsucht. Liebe. Frieden. Immer leiser werden seine Worte. Dann kann er seine Augen nicht mehr offen halten. Letzte Fragmente der Erinnerung tauchen auf. Nächtliches Schwimmen im Mondlicht mit Rosemarie, Joes geheimes erstes Fahrrad, der Applaus auf einer Schüleraufführung, seine Mutter, die ihn auf dem Arm auf den Friedhof trägt. Die trockene, warme Hand seines Opas. Und plötzlich sind da nur noch Glocken in Joes Ohr, die nicht aufhören wollen. Es bimmelt um Joe herum, als würde nicht der Todesengel, sondern der Schlitten mit dem Weihnachtsmann zu ihm kommen.
    Bis zu dem Moment, als die Hebamme das Zimmer betritt, ist es Miriam gelungen, sich trotz reißender Wehen und Halluzinationen einzureden, letztendlich werde alles gut. In den Phasen des Ausruhens hatte sie sich durch die Kräuter aus den Hennahänden fast heiter gefühlt, auch ein wenig leicht im Kopf, wie nach einer guten Flasche Wein. Magdalena hatte versucht, sie zu beruhigen, weil bei ihren Wehen einfach nichts vorwärtsgehen wollte. Ihr Baby lässt sich Zeit. Doch jetzt ist all das mit einem Schlag vorbei. Wandas besorgte Augen sagen ihr die Wahrheit. Der Tod wohnt in diesen Mauern. Schon bei ihrer Fahrt auf der Autobahn hatte Wanda ein zunehmend ungutes Gefühl. Es häuften sich die Unfälle. Die Sicht war miserabel. Autofahrer fuhren, als wären sie fremdgesteuert. Es gibt solche Tage bisweilen um den Vollmond herum, wenn die Geister der Verstorbenen spuken. Hätte Wanda nicht fest versprochen zu kommen, hätte sie eine Kollegin aus dem Chiemgau geschickt. Aber Wanda bricht niemals ein Versprechen. Routiniert beginnt sie zu untersuchen, aber Miriams Zustand ist sehr viel kritischer als erwartet. Unendlich erschöpft ist sie, die Frau aus Dresden, so als würden die strapaziösen letzten Monate sich ausgerechnet jetzt mit vollem Gewicht auf ihrem Brustkorb niederlassen. Auf Miriam lastet eine bleierne Schwere, die Wanda befürchten lässt, dass es auch dem Kind nicht gut geht. Es ist so still.
    Fieberhaft sucht Wanda bereits in ihrer Tasche in den homöopathischen Mitteln nach der Entsprechung für das, was sie hier wahrnimmt. Blei. Schwere. Atemstillstand. Dunkle Mächte des Schicksals. Aber auch nachdem Magdalena die anderen beiden Frauen aus dem Zimmer geschickt hat, lichtet sich die Energie nicht. Es befinden sich Unsichtbare im Raum. Zunächst vermutet Wanda die Verstorbenen aus Miriams Familie, hier zusammengekommen aus Sorge um Mutter und Kind, aber auch das ist es nicht. Es sind an Santa Lucia noch weitere Wesen in diesem Zimmer anwesend. Miriam stöhnt:»Ich werde sterben, nicht wahr?«
    Wanda versucht Miriam zu beruhigen, aber auch sie hat Angst. Unter den Unsichtbaren ist eine Frau mit ihren Neugeborenen, die verzweifelt nach ihrem Mann Joe ruft, der in diesem Moment in den Bergen in Gefahr sei. Dann ist da ein schweigendes hohläugiges Mädchen. Sie steht am dichtesten bei Miriam. Die junge Dunkelhaarige ist schwanger, noch sehr jung und voller Angst. Der Wintermantel, den sie trägt, stammt aus einer anderen Zeit. Am liebsten hätte Wanda die Zeit, um mit allen zu sprechen und in Ruhe zu heilen, was in diesem Raum an tragischen Schicksalen lebt, denn all diese Kräfte ziehen an Miriam und dem Kind. Aber Wanda bleibt keine Zeit. An dem dunkelsten
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