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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Autoren: Nicole Joens
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hinter dem nächsten Hügel nicht mehr zu hören ist. Die Scheune müsste längst vor ihm sein. Joe nimmt einen weiteren Schluck und versucht, sein Jackett zuzuknöpfen, aber seine eiskalten Finger greifen immer wieder ins Leere. Er setzt erneut die Flasche an, um sich zu wärmen. Ein gedankenloser Rausch wäre eine willkommene Abwechslung nach dem albtraumhaften Wechselbad, durch das Miriam ihn in den letzten Tagen gejagt hat. Alles an ihm hat sie infrage gestellt, einfach alles. Das Schlimme daran ist, dass sie ihm gefällt. Jetzt sinkt Joe auf dem Weg zur Bergscheune bei jedem Schritt über die Knie ein. Er ist sich mit einem Mal nicht sicher, auf dem richtigen Weg zu sein, denn lediglich Bachs ferne Klänge geben ihm noch Orientierung. Aber er muss sich geirrt haben, denn die Scheune steht eigentlich sehr viel näher an der Straße. Ist er bereits zu weit gegangen? Hemd und Jackett bieten kaum Schutz vor der beißenden Kälte. Er nimmt einen weiteren Schluck, um sich zu wärmen. Die Nebelwolken um ihn werden dichter. Entschlossen, jetzt zunächst zu Molly zurückzugehen, um sich zu orientieren, dreht er sich um, prallt aber nach wenigen Schritten gegen etwas Hartes. Ein stechender Schmerz schießt wie ein Blitz durch seinen Kopf. Um Joe herum wird es schwarz.
    Anna-Sophie hält mitten im Rühren inne. Sie blickt aus dem Fenster. Draußen auf dem Hof ist es bis auf das Licht an der Scheunentür jetzt fast schon pechschwarze Nacht. Ihr ist mit einem Mal unheimlich zumute, obwohl sie in Hillas heimeliger Küche auf dem Hocker steht und beim Anrühren der Salatsoße helfen darf. Es ist schwierig, weil immer wieder von oben beunruhigende Geräusche kommen. Mal schlägt eine Tür, dann hört Anna-Sophie ein Stöhnen oder einen kurzen Schrei von Miriam, so als ob etwas ziemlich wehtun würde. Magdalena kam einmal kurz in die Küche, trank einen Schluck Kaffee und wechselte ein paar geflüsterte Worte mit Oma Hilla, die aber nicht leise genug waren, sodass sie Anna-Sophie jetzt immer noch beunruhigen. »Es geht gar nix vorwärts!«, hatte Magdalena geflüstert. Und bei Miriams nächstem Schrei war die Frau mit dem langen grauen Zopf schon wieder aus der Tür geschossen und nach oben gerannt.
    Anna-Sophie durfte noch nicht einmal kurz zu Miriam, um sich zu vergewissern, dass es ihr trotz des Schreiens und Stöhnens gut geht. Der Schmerz gehört dazu, versicherte ihr Hilla nur und holte schnell ihr Märchenbuch, um sie abzulenken. Anna-Sophie wollte die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein, denn da wird dem Wolf zum Schluss der Bauch aufgeschnitten, aber Hilla fand den Gedanken zu beunruhigend. Sie suchte lieber nach Musik, um die Geräusche von oben zu übertönen. Im Küchenradio läuft seitdem Mozarts Zauberflöte . Aber jetzt gerade findet Anna-Sophie, dass die Königin der Nacht heute ziemlich laut schreit, so als hätte sie ebenfalls große Schmerzen. Hilla macht die Musik wieder aus. Jetzt kann Anna-Sophie endlich die Frage stellen, die ihr schon seit längerer Zeit auf den Lippen brennt. Wie es ist, wenn man stirbt, will sie mit ernstem Gesicht wissen. Und wie sieht der Engel aus, der einen beim Tod abholt?
    Benommen setzt Joe sich auf. Er muss von dem Aufprall kurz ohnmächtig geworden sein. Die einbrechende Nacht taucht den trüben Himmel über den Bergspitzen in ein leuchtendes Tiefblau. Durch den Nebel dröhnt ein Rauschen von den Bergen herunter, so als ob sich ein starker Wind in den Bäumen ankündigt, doch noch ist es an Joes Platz so gut wie völlig windstill. Das Wetter ändert sich oft schlagartig in den Alpen. Die Schneeflocken fallen inzwischen nicht mehr ganz so dicht. Vorsichtig tastet Joe nach seiner Nase, die geschwollen ist und trotz der Kälte schmerzt. Das Blut tropft von der Nase in den Schnee und auf das Marterl, gegen das Joe im Nebel gestoßen sein muss. Es liegt neben ihm. Der Pfosten ist durch die Kollision knapp unterhalb der Holzkonstruktion abgebrochen. Er muss ziemlich morsch gewesen sein, doch jetzt weiß Joe zumindest, wo er sich befindet. Das alte Marterl steht ein Stück unterhalb der Scheune am Wegrand auf dem freien Wiesenstück der Stadlers, das zu den eingezäunten Weiden führt. Eine halbe Ewigkeit steht das Marterl schon da, aber niemand ist so recht zuständig dafür. Zur Erinnerung an einen tödlichen Unfall mahnt es an dieser Stelle, solange Joe denken kann. Unter dem Jesus steht mit Sütterlin ins Holz geritzt der Todestag: »Santa Lucia im Jahre 1943« unter
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