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Mari reitet wie der Wind

Mari reitet wie der Wind

Titel: Mari reitet wie der Wind
Autoren: Federica de Cesco
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Blei. Sie lächelt e Fanny an, schloss die Augen und schlief sofor t ein .

11. Kapitel
    Als sie erwachte, schien hell die Morgensonne. Mari rieb sich die Augen und gähnte. Der Schmerz war fast gänzlich verklungen. Sie betastete ihre Kopfhaut, spürte eine dicke Beule und eine Kruste, die sich gebildet hatte. Von draußen erklangen Stimmen und Geräusche: das Surren eines Generators, das Anspringen eines Motors, das Klappern von Pferdehufen. Mari schob behutsam die Beine aus dem Bett, griff nach ihren Sachen, die inzwischen getrocknet waren und die Fanny für sie bereitgelegt hatte. Gerade faltete sie die Decke zusammen, als die Tür aufging und ein Mann den Wohnwagen betrat. Er war so groß, dass er sich bücken musste, um durch die Tür zu kommen. Seine Haut war tiefbraun, das Haar schwarz und kraus. Er trug enge Jeans mit einer auffallenden Gürtelschnalle, eine speckige Lederjacke mit Fransen. Ein kleiner goldener Ring baumelte am linken Ohrläppchen. Mari starrte ihn an. Sie wusste nicht, ob er alt oder jung, schön oder hässlich war. Aber sie misstraute ihm nicht. Er nickte ihr zu. »Guten Morgen. Ich bin Lukas.« Seine Stimme war tief und kehlig. »Noch Schmerzen?«, fügte er hinzu. Mari seufzte glücklich auf. »Vorbei!« »Hunger?«, fragte Lukas. Mari fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und nickte. Er stapfte durch den Wohnwagen. In einer Ecke gab es eine Kochnische mit Herd, Kühlschrank und Spüle. Zwei Bänke standen um einen großen, festgeschraubten Tisch. Trotz seiner Größe bewegte sich Lukas flink und behände. Er steckte die Gasflamme an, setzte den Kessel für Kaffeewasser auf. Dann holte er eine Dose Pulverkaffee aus dem Schrank, dazu eine Tüte Zwieback, die er Mari hinwarf. Sie fing die Tüte geschickt auf. Sofort lief ihr das Wasser im Mund zusammen. »Du hast ein schönes Pferd«, sagte er unvermittelt. Maris Kehle wurde eng. Statt ihm zu antworten, deutete sie auf die Fotos an der Wand. »Sind das Ihre Pferde?« »Man könnte es so sagen, ja. Aber in Wirklichkeit gehören sie sich selbst. Ich arbeite nur mit Tieren, denen es Spaß macht. Angepasste Pferde sind wie angepasste Menschen. Heimtückisch.«
    Er goss Kaffee ein, trat zu ihr und reichte ihr die Tasse, wobei er ihr in die Augen sah. Mari wurde rot. Ihm konnte sie nichts vormachen, das begriff sie sofort. Sie senkte schuldbewusst den Kopf. »Paloma ist nicht mein Pferd«, flüsterte sie. Er hob die dichten Brauen. »Nein?« In diesem Augenblick kam Fanny in den Wohnwagen. Sie trug jetzt Stiefel und ihr Haar war mit einer blauen Schleife am Hinterkopf hochgesteckt. »Gut geschlafen?«, fragte sie heiter. »Lass mal deine Wunde sehen!« Mari warf ihre Haare nach vorn. Fanny untersuchte die Verletzung behutsam und mit feinfühligen Händen. »Kein Problem! Morgen wirst du nichts mehr spüren.« Sie deutete auf Lukas, der am Tisch lehnte. »Er hat den Zirkus gegründet.« Mari blinzelte. »Ist das dein Mann?« Sie lachten beide und Lukas sagte: »Sozusagen.« Mari schlürfte ihren Kaffee und stopfte sich Zwieback in den Mund. Lukas ließ sie nicht aus den Augen.
    »So, Kleine, jetzt erzähl mal«, sagte er, als ihre Tasse leer war. Mari zuckte zusammen. Es war, als ob das Sonnenlicht sich plötzlich verdüsterte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Stockend begann sie zu sprechen. Sie erzählte von ihrem Vater, der sie verlassen hatte, von der Mutter, die Menschen und Tiere pflegte und von den Alten in der Sippe verstoßen worden war. Sie sprach von Paloma, ihrer einzigen Freundin, mit der sie am Strand entlangritt und Kunststücke übte, und von Marcel Aumale. Lukas und Fanny hörten aufmerksam zu. Zuerst wusste Mari in ihrer Aufregung nicht recht, wie sie das alles erklären konnte. Aber schließlich sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus, und als sie zu Ende war – als sie nämlich sagen musste, dass Paloma jetzt dem Gutsherrn gehörte –, stürzten ihr die Tränen über das Gesicht. Eine Weile herrschte Stille, bis Lukas mit seiner tiefen Stimme das Schweigen brach. »Die Pferde sind unsere Freunde. Aber man findet nur selten einen Menschen, der ein Pferd wert ist.« Mari zog geräuschvoll die Nase hoch. »Monsieur, helfen Sie mir! Können Sie mir nicht helfen?«
    Lukas’ dunkles Gesicht war völlig ausdruckslos. »Tja, mal sehen«, meinte er. Fanny sah zu ihm hoch, bevor sie tröstend Maris Schultern umfasste. »Lukas kennt viele Tricks, weißt du. Du musst jetzt nicht mehr weinen. Vielleicht ist nicht
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