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Marcos Verlangen

Marcos Verlangen

Titel: Marcos Verlangen
Autoren: Laura Gambrinus
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selber kam sich mit einem Mal wie ein unrechtmäßiger Eindringling vor.
    „Ah, ich sehe, die Kaffeemaschine ist schon bereit – na dann wollen wir mal!“ Unbefangen und gut gelaunt ging sie ans Werk.
    Während Marcos Ehefrau mit einem Lächeln auf den Lippen herumhantierte, Tassen und Unterteller zutage förderte, einen Dessertteller hervorholte und sogar eine Packung Kekse aus dem Schrank zauberte, hatte Ella nichts anderes zu tun, als sie zu betrachten.
    Patrizia war unbestreitbar eine echte Schönheit. Das beinahe schwarze Haar, das ihr bis weit unter die Schulterblätter reichte, trug sie stufig geschnitten und es glänzte wie polierter Onyx. Sie hatte ein ebenmäßiges, fein geschnittenes Gesicht mit großen, schräg stehenden grünen Augen und sah alles in allem so aus, als hätte sie erst letztes Jahr die Wahl zur Miss World gewonnen. Überschlank und groß wie sie war, konnte sie gut und gerne selber Modell für eins der vielen Aktgemälde gewesen sein, die ihr Mann mit so viel Leidenschaft sammelte.
    Ella kämpfte den Drang nieder, aufzustehen und fluchtartig das Weite zu suchen. Sie hatte ein Recht darauf, hier zu sein, in dieser Küche zu sitzen und caffè zu trinken, rief sie sich hilflos in Erinnerung. Mindestens genauso viel, wie diese fast überirdische Schönheit hier, die aus dem Nichts aufgetaucht war und mit der Selbstverständlichkeit einer Hausherrin über alle Räumlichkeiten verfügte.
    „Sie haben Marco übrigens nur knapp verpasst“, hörte Ella sie nun munter verkünden, während sie ihr den Teller mit Keksen vor die Nase stellte.
    „Aber - sollte er denn nicht gestern Abend schon losfahren?“, platzte sie heraus.
    „Hat er Ihnen das gesagt? – Nun ja, schon möglich, dass er das ursprünglich vorhatte.“ Sie lächelte in sich hinein. „Aber ich bin gestern gegen Nachmittag erst hier angekommen und da hat er es sich wohl kurzfristig anders überlegt und ist noch geblieben.“ Sie sah einen Moment lang verträumt vor sich hin, dann erinnerte sie sich offensichtlich an Ellas Anwesenheit. „Nun, dann wollen wir mal Kaffee trinken.“
    Als die beiden Tassen gefüllt auf dem Tisch standen, setzte sie sich Ella gegenüber.
    „Marco sagte mir, Sie leben im Ausland?“ Ella versuchte mit mäßigem Erfolg, ihren Tonfall so ruhig und unbeteiligt wie möglich zu halten.
    Patrizia warf ihr einen kurzen, forschenden Blick zu. „Ja, ich habe in der Nähe von Nizza gewohnt.“
    Sie hatte dort gewohnt?
    „Und dort wohnen Sie jetzt nicht mehr?“
    „Nun, ich werde meinen Wohnsitz dort wahrscheinlich über kurz oder lang wieder aufgeben.“
    „Ach!“ Ella wagte nicht, sich noch weiter zu äußern. Eine innere Stimme flüsterte ihr eindringlich zu, dass sie dabei war, auf eine handfeste Blamage zuzusteuern, aber sie weigerte sich, dieser Stimme Gehör zu schenken. Das alles hier hatte nichts, aber auch gar nichts zu bedeuten, sagte sie sich zum wiederholten Male.
    Nur – warum fiel es ihr dann so schwer, das zu glauben?
    Wieder fing sie einen nachdenklichen Seitenblick von Patrizia auf. Ihr Herz begann unvermittelt zu hämmern.
    Etwas an dieser Situation stimmte nicht. Etwas stimmte ganz und gar nicht, doch sie weigerte sich noch immer standhaft, den unterschwellig herumschwirrenden Gedanken in ihrem Gehirn Raum zu geben. Wenn sie diese Gedanken nicht zuließ, so schien es, dann würden sie kein Recht auf Leben bekommen, dann würden sie sich nicht materialisieren, sondern sich wieder verflüchtigen. Ganz so, als hätten sie niemals existiert.
    „Nun, ich habe mich selber ja auch gewundert, als Marco mich bat zurückzukommen und wieder mit ihm zusammenzuleben, aber es hat mich natürlich gefreut“, hörte sie Patrizias klangvolle Stimme wie aus weiter Ferne an ihr Ohr dringen. „Wissen Sie, es ist schließlich nicht so, dass wir einander gleichgültig geworden wären. Nur hat mich mein Beruf eben leider eine Zeit lang davon abgehalten, bei ihm zu sein und inzwischen sind wir dieser komplizierten Situation beide überdrüssig. Aber das hat er Ihnen ja bestimmt erzählt.“
    Sie nahm einen kleinen Schluck caffè und sah geistesabwesend vor sich hin.
    „Nein“, antwortete Ella wahrheitsgemäß und ihre Stimme klang so rau, dass sie ihr selber fremd vorkam. „Nein, das hat er mir nicht gesagt.“
    „Nein? Das wundert mich aber. Nach all dem, was er mir über Sie erzählt hat, dachte ich, er wäre Ihnen gegenüber genauso offen gewesen. Er schätzt Sie außerordentlich, müssen Sie
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